Neues Leben
Dissidentin Liu Xia
Das jahrelange Ringen um die Freilassung der Künstlerin und Dichterin Liu Xia hat am Dienstag ein Ende gefunden: Die Witwe des chinesischen Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo durfte nach Deutschland ausreisen. Die Geste der chinesischen Regierung kam nicht zufällig während des Besuchs von Premier Li Keqiang in Berlin. Kanzlerin Angela Merkel und die deutsche Diplomatie hatten sich in den vergangenen Monaten für die Freilassung Lius in besonderem Maße starkgemacht.
Die Regierung Merkel hatte auch das Angebot vorgelegt, die 57-Jährige in Deutschland aufzunehmen. Seitdem haben die chinesischen Behörden bereits zweimal grünes Licht für ihre Ausreise gegeben - doch beide Male folgte im letzten Moment eine Enttäuschung. Diesmal klappte es: Liu Xia war am Dienstagmorgen bereits informiert und hatte ihre Koffer gepackt. Unter Bewachung durfte sie das Haus verlassen und zum Flughafen fahren, um dort eine Maschine der Finnair nach Berlin zu besteigen. Erst nachdem sie sicher im Flugzeug saß, wagten sich ihre Unterstützer mit den guten Nachrichten an die Öffentlichkeit.
Ihr Bruder Liu Hui meldete sich als Erster in sozialen Netzwerken zu Wort: Seine Schwester könne nun ein neues Leben beginnen. Auch andere Dissidenten bestätigten, dass Liu nun frei ist. Der bekannte Hongkonger Journalist Johnny Lau, ein viel zitierter Experte für Chinas Politik, vermutet als Grund für ihre plötzliche Freilassung auch ein herannahendes Kalenderdatum: Die Regierung wolle vor dem Todestag Liu Xiaobos am 13. Juli eine internationale Kampagne für Liu Xia vermeiden. Im chinesischen Inland ist der Fall wegen konsequenter Zensur praktisch unbekannt.
Menschenrechtsgruppen äußerten nun Sorge um Lius weitere Verwandtschaft. Es bestehe Gefahr, dass die Regierung sie drangsaliere, um sie auch in Berlin am Reden zu hindern. »Die Behörden haben seit Jahren versucht, sie zum Schweigen zu bringen, doch sie hat sich nicht einschüchtern lassen«, sagt Patrick Poon von Amnesty International in Hongkong. Nach acht Jahren Hausarrest sei ihre Gesundheit jedoch angeschlagen.
Liu Xia durfte ihre Wohnung nicht mehr verlassen, seit ihr Mann im Jahr 2010 den Friedensnobelpreis zugesprochen bekommen hatte. Polizisten bewachten die Tür zu ihrem Haus und verwehrten Besuchern den Zugang. Liu durfte nicht frei telefonieren und kein Internet benutzen; sie musste Spaziergänge anmelden und konnte nicht reisen. Ihren Gatten durfte sie über die Jahre seiner Haft hinweg nur für wenige Minuten besuchen.
All das gilt auch aus Perspektive der chinesischen Gesetze als Rechtsbruch: Ihr Mann war wegen Untergrabung der Staatsgewalt verurteilt, doch ihr selbst konnte die manipulierte chinesische Justiz nichts vorwerfen. »Mein Verbrechen ist es, Liu Xiaobo zu lieben«, hatte sie dem Schriftsteller Liao Yiwu am Telefon anvertraut. »Ich bin darauf vorbereitet, unter Hausarrest zu sterben.« Schriftsteller Liao lebt bereits in Berlin im Exil - jetzt folgt ihm Liu Xia.
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