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Ein Prozess, kein Schlussstrich

Die versprochene Aufklärung des NSU-Komplexes ist ausgeblieben

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.

Wie immer die Urteile in München ausfallen, zehn Menschen starben, wurden ihren Liebsten und Freunden entrissen. Zahlreiche sind verletzt an Körper und Seele. Der Rechtsstaat und die zu seinem Schutz bestehenden Organe erlitten einen herben Vertrauensverlust. Was angeblich nach den Erfahrungen der Nazidiktatur unmöglich war, geschah. Eine bewaffnete, zu allem entschlossene rechtsextreme Terrororganisation konnte bundesweit und jahrelang schwerste Verbrechen begehen. Sie verfügte über ein dichtes Netzwerk von Unterstützern und Sympathisanten. Die völlig unzureichende Aufklärung der Verbrechen tat ein Übriges, um der Demokratie Schaden zuzufügen. Auch mit einem notwendigen Abstand wird der große Prozess in München inhaltlich nicht als Meilenstein der Rechtsgeschichte zu werten sein.

Das erste Opfer des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) starb am 11. September 2000, das letzte am 25. April 2007: Acht Männer - Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat - hatten türkische Wurzeln. Einer - Theodoros Boulgarides- stammte aus Griechenland. Eine junge Polizistin - Michèle Kiesewetter - wurde in Heilbronn Opfer der rechtsextremistischen Terror-Gruppierung. Die Ermittler tappten jahrelang im Dunkel, sie vermuteten Streitigkeiten im Drogenmilieu und ermittelten im familiären Umfeld. Dass es rassistische Motive gab, kam ihnen nicht in den Sinn. Schließlich bekannte sich niemand zu den Taten. Medien berichteten leichtfertig von »Döner-Morden«. Auch bei der Aufklärung von mehreren Bombenanschlägen sowie einer Reihe von Banküberfällen kamen die Ermittler trotz Bildung von speziellen Ermittlungsgruppen nicht voran.

Der Prozess

Am 6. Mai 2013 begann vor der Oberlandesgericht das »Strafverfahren gegen Beate Z. u. a. wegen Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung u.a. (NSU)«. Angeklagt sind zehn Morde. Sie ereigneten sich in München (2001, 2005), Nürnberg (2000, 2001. 2005), Hamburg (2001), Rostock (2004), Dortmund (2006) Kassel (2006) und Heilbronn (2007). Die drei Bombenanschläge wurden in Nürnberg (1999) und Köln (2001, 2004) verübt. Die angeklagten 15 Banküberfälle fanden in Chemnitz, Stralsund, Arnstadt und Eisenach statt. Die Verhandlung war in München angesetzt, da fünf der NSU-Morde in Bayern verübt wurden und das dortige Oberlandesgericht (OLG) über einen Staatsschutzsenat verfügt. Dieser 6. Senat des OLG besteht aus fünf Richtern. Die fünf Angeklagten wurden von 14 Verteidigern beraten, die Bundesanwaltschaft ist mit drei Anklagevertretern beteiligt. Ihre Anklageschrift hat 488 Seiten. 91 Nebenkläger wurden von 58 Anwälten vertreten. Es gab 437 Verhandlungstage an denen 263 Beweis- und 46 Befangenheitsanträge. hei

Erst viereinhalb Jahre nach dem (vermutlich) letzten Mord des NSU kam man unerwartet den Hintergründen der Verbrechen näher. Am 4. November 2011 scheiterte ein Banküberfall in Eisenach. Bei der Fahndung stieß man auf ein Wohnmobil, darin lagen zwei Leichen. Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die mutmaßlichen Bankräuber, hatten sich angeblich selbst gerichtet. Rasch ergaben sich Spuren zum Polizistenmord in Heilbronn, auf DVD bekannten sich die beiden jungen Männer zu einer bis dahin für die Ermittler unbekannten rechtsextremistischen Terror-Gruppe namens Nationalsozialistischer Untergrund und zu deren zumeist rassistisch motivierten Mordtaten. Ebenfalls am 4. November explodierte ein Mehrfamilienhaus in Zwickau. Die Freundin von Böhnhardt und Mundlos, Beate Zschäpe, versuchte die Spuren in der gemeinsamen Wohnung zu vernichten. 13 Jahre nachdem die drei als Bombenbauer verdächtigten Jenaer Neonazis in den Untergrund gegangenen waren, steckte Zschäpe »Paulchen-Panther«-Bekenner-Videos in einen Briefkasten, irrte durchs Land, um sich dann am 8. November 2011 der Polizei in ihrer Thüringer Heimatstadt zu stellen. Viele in Deutschland und jenseits der Grenzen standen unter Schock. Wie konnte es möglich sein, dass der NSU so lange so ungestört eine tödliche Blutspur durch Deutschland ziehen konnte?

Der Prozess gegen Zschäpe und vier Helfer des Trios dauerte über fünf Jahre. An über 430 zum Teil quälend ineffizienten Verhandlungstagen wurden über 600 Zeugen gehört. Fazit: Man kam den Antworten auf zahlreiche unbeantwortete Fragen - wenn überhaupt - nur minimal näher. Schon weil in der von der Bundesanwaltschaft vertretenen Anklage so getan wird, als sei der NSU nur eine radikale Kleinstgruppe ideologisch Verblendeter. Auch die weiträumigen Ermittlungen der für die Aufklärung der Verbrechen zuständigen Behörden und die zum Teil intensiven Nachforschungen von zwölf parlamentarischen Untersuchungsausschüssen lösten nicht ein, was die Bundeskanzlerin auf der Gedenkfeier für die Opfer im Februar 2012 versprochen hatte. Man wolle, so Angela Merkel, »alles tun, um die Morde des rechtsextremen Trios aufzuklären, die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen«.

Bis heute bleiben wesentliche Fragen zum NSU und generell zur gewalttätigen rechtsextremistischen Szene in Deutschland und ihrer internationalen Verflechtung unbeantwortet. Laut glaubwürdigen Statistiken sind Rechtsextreme hierzulande für mindestens 200 Morde seit 1990 verantwortlich. Sicher ist: Zahlreiche Mitschuldige an den Taten des NSU bleiben unbehelligt. Derzeit laufen zwar noch Ermittlungsverfahren gegen neun Verdächtige, doch da die nicht wegen Beihilfe zum Mord geführt werden, ist eine Verjährung greifbar. Geschont werden auch jene Sicherheitsbehörden, Staatsanwaltschaften und Geheimdienste, die bei der Aufklärung der NSU-Verbrechen versagt haben oder sie bewusst hintertrieben.

Die anfangs spürbare höhere Sensibilität gegenüber rechtsextremistischem Terror, die sich unter anderem im NPD-Verbotsantrag zeigte, ist längst verebbt. Fremdenhass und die Relativierung von Nazi-Ungeist gehören seit dem politischen Kraftzuwachs der AfD zum politischen Alltag in Deutschland. Von einem rechtsstaatlichen Lernprozess bei den deutschen Geheimdienst- und Sicherheitsbehörden kann keine Rede sein. Sie mauern weiter, halten mit Regierungsunterstützung Dokumente selbst vor zuständigen Volksvertretern geheim. Der Verfassungsschutz und Polizeibehörden hatten über 30 »Vertrauensleute« im Umfeld des NSU-Trios platziert. Einige dieser vom Staat bezahlten Zuträger waren den drei Untergetauchten sogar direkt behilflich. Doch das alles führte weder zur Verhinderung der grausamen Verbrechen noch kam man so der Aufklärung näher. Trotz gegenteiliger Beteuerungen nach dem Auffliegen des NSU wurde die Arbeit der Dienste nicht transparenter und die parlamentarische Kontrolle nicht besser. Kaum Schlussfolgerungen gab es auch im Bereich der weithin von Nachfragen unbehelligt gebliebenen Staatsanwaltschaften. Das zeigt sich unter anderem an deren »Unlust«, mysteriöse Todesfälle bei V-Leuten und mutmaßlichen aussagewilligen Zeugen auszuleuchten.

Sicher ist, der NSU war nicht - wie oft behauptet - ein einmaliges Phänomen. Vergleichbare Gruppierungen sind nachgewachsen, wie ein im März beendeter Prozess gegen die sogenannte Gruppe Freital belegt. Sie hatte sich zusammengeschlossen, um Anschläge auf Flüchtlingsheime und politische Gegner zu begehen. Nur dank glücklicher Umstände gab es dabei diesmal noch keine Toten.

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