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Bloß kein WM-Katar!

Abseits! Die Feuilleton-WM-Kolumne

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Ende riss der neue Fußballweltmeister niemanden mehr hinter dem Elektroofen hervor - zu kalt war das Wetter, zu überlegen und siegesgewiss hatte sich der Gastgeber schon im Vorfeld des zunächst höchst umstrittenen Turniers gegeben. Mit Recht, wie sich im Laufe der vierzehn Wochen Endrunde herausstellen sollte. Auch wenn die beiden Altmeister Messi und Ronaldo nicht mehr wie in den Jahren zuvor glänzen konnten, hatte der Coach des Gastgebers, das Hologramm eines gewissen Joachim L., auf die richtige Karte gesetzt: In den letzten Wochen des Oktobers 2022 wurden auf sein Betreiben auf die Schnelle neben den beiden noch 15 Roboter eingebürgert, was am Ende den Unterschied zwischen Katar und den 127 anderen Teilnehmern der Endrunde ausmachte: gegen 450 km/h schnelle Schüsse waren am Ende selbst die traditionell als unüberwindbar geltenden englischen Torhüter machtlos.

Generell wirkten jene Teams, die noch mit humanoiden Spielern antraten, hoffnungslos antiquiert und erregten höchstens glühweininduziertes Mitleid unter den letzten spärlichen Besuchern des Public Viewing auf Provinzweihnachtsmärkten - nur die Hartgesottensten unter den »Alle vier Jahre mutiere ich zum Riesenfan, und was machen eigentlich Poldi und Schweini?«-Menschheitsperlen wollten sich die Leichenschau des Profikapitalismus noch ansehen. Allen dreien wurde nach dem Turnier für ihre übermenschlichen Anstrengungen das Bundesverdienstkreuz powered by Bildbitburger vom Bundespräsidenten Bierhoff verliehen. Posthum stellte er vor allem das Opfer heraus, das diese drei erbrachten: Wären sie nicht tragischerweise an der offiziellen Fanwurst aus dem Hause Magentreter erstickt, wären sie durch die Darbietungen des Teams aus den zehn ganz alten und mittlerweile wieder einzigen Bundesländern mit ziemlicher Sicherheit erblindet. »Drei Vorbilder wie mich, nicht nur im Plastikgirlandenüberwurf, nein, auch im Tragen übergroßer Spaßbrillen«, würdigte der als rhetorisches und selbstlos bescheidenes Genie geltende Präsident. Nicht ohne den Finger in die Schaltkreise zu legen: »Der ©Fi-fa-fussball darf nicht ©Mars und Mitte verlieren.« Zu viel ©Kommerzialisierung entfremde die Basis zunehmend vom Vollvolkssport Nummer eins. Dem schloss sich der Ehrenpräsident des DFB, Mesut Özil, traditionell wortgewaltig und allen seinen Präsidenten herzlichst verbunden, postwendend an: »...«

Tatsächlich hatten die Präsidenten B. und Ö. wunde Punkte getroffen: Wurden Eintrittspreise von 35 Milliarden China-Dollar für das Finale noch grummelnd akzeptiert (»Die Mafifa muss auch sehen, wo sie bleibt - gerade jetzt, wo denen das Hauptquartier explodiert ist«, so der allgemeine Tenor), hatte spätestens der Auftritt eines gewissen Donald T. in den Sechstelpausen des Finales zwischen Katar I und Katar II (Älteren als Planet Pluto bekannt) das Fass zum Überlaufen gebracht. Die musikalische Darbietung von »The Wall« ging gerade noch so durch, aber als sich der ehemalige US-amerikanische Präsident bitterlich zu beschweren begann, dass Präsident Ö. ihm nicht genügend Respekt erweise (»Er schweigt immer! So sad!«), und sich kurzerhand mit einem roten Knopf fuchtelnd zum stabilsten Genieweltmeister von überhaupt überall und »Magdebörg-Kännenstieg« im Speziellen ausrief, riss den meisten Zuschauern dann doch der virtuelle Geduldsfaden. Ein Regen aus Dislikes und Twitters neuester Erfindung - dem Anti-Herzchen, das einem Wurfstern gleicht - ging auf ihn nieder. Zu Ende war die Geschichte damit noch nicht, das erledigte Roboter Nummer neun, indem er das Apfel-Evil-Babyphone, das Trump eine Stimme und Unsterblichkeit verliehen hatte, anvisierte und gezielt zerstörte (keine Kollateralschäden, Schussgeschwindigkeit 455 km/h, neuer Weltraumrekord).

An den klassischen Medien war das Turnier im Übrigen fast komplett vorbeigegangen. Ein Wochenmagazin aus Hamburg setzte seine traditionellen WM-Serien zu den wirklich wichtigen Fragen fort. Die höchste Auflage (36 verkaufte Exemplare) erzielte dabei der Titel: »Atmen - Oder soll man es lassen?« Die Kollegen aus derselben Stadt waren nur mäßig erfolgreicher mit: »Vorvorrundenaus - warum liebt uns niemand, wenn wir 18 Stunden am Tag arbeiten, und wie bleiben wir Exportweltmeister für immer?« Alle 54 Ausgaben wurden übrigens nach Griechenland verkauft, das 2024 unter einem deutschen Trainer Europameister werden sollte. Hätten die Griechen auch nicht geglaubt.

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