Nicht gerecht für die Armen

Genossenschaften garantieren nicht per se eine gute soziale Wohnraumversorgung

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie haben für Ihre wissenschaftliche Arbeit das Kosmosviertel an der Stadtgrenze zu Schönefeld untersucht. Wie sind sie gerade auf diese vergleichsweise abgelegene Gegend gekommen?

Wenn man sich die sozioökonomischen Daten der Menschen, die dort wohnen, anschaut, ist die hohe Konzentration von Armut sehr auffällig. Gleichzeitig hat das Viertel eine sehr besondere Eigentümer*innen-Struktur.

Susanna Raab

Die Soziologin Susanna Raab hat für ihre Magisterarbeit den Einfluss der Eigentümer*innenstruktur der Wohnhäuser auf die Bevölkerungszusammensetzung im Berliner Kosmosviertel untersucht. Die Arbeit wurde 2017 mit dem Georg-Simmel-Preis der Humboldt-Universität ausgezeichnet. Über ihre Erkenntnisse sprach mit ihr nd-Redakteur Nicolas Šustr.

Foto: nd/Ulli Winkler

Was ist besonders daran?

Das Kosmosviertel ist ein klar abgeschlossenes Plattenbaugebiet, eine Siedlung. Dort gibt es drei unterschiedliche Eigentümer*innen, die sich auch von ihrer Gesellschafterform unterscheiden. Mit der Schönefeld Wohnen GmbH & Co. KG einen klassischen privaten Eigentümer, die Wohnungsgenossenschaft Altglienicke sowie die Stadt und Land als landeseigenes Wohnungsunternehmen. Alle drei haben von ihrer Konzeption her andere Zielsetzungen - wie sie wirtschaften, an wen sie vermieten.

Die »Schönefeld Wohnen« hat sich einen Ruf als Vertreter des Modells Discount-Wohnen über das Viertel hinaus erarbeitet. Was heißt das?

Discount-Wohnen beschreibt die Praxis von Vermietern wie der »Schönefeld Wohnen«, die vor allem Bestände haben mit baulichen Mängeln und wenig darin investieren wollen. Die versuchen trotzdem, die größte Rendite rauszuholen. Das heißt, man sucht sich eine Gruppe auf dem Wohnungsmarkt, die schon stark von Ausschlussmechanismen betroffen ist und die nicht viel Auswahlmöglichkeiten hat und versucht dabei, einen relativ hohen Betrag abzuschöpfen. Das geht vor allen Dingen gut bei Menschen, die Transferleistungen beziehen, weil die Ämter die vollen Sätze bezahlen, aber nicht schauen, wie die Wohnungen aussehen.

Die »Schönefeld Wohnen« saniert nun die Häuser energetisch, in der Folge steigen die Mieten deutlich. Ist das eine Änderung des Geschäftsmodells?

Ich habe das in meiner Arbeit nicht als eine Veränderung der Strategie gesehen. Das ist eher eine Auswirkung des enger werdenden Wohnungsmarktes, denn die Attraktivität der Wohnlage nimmt nicht unbedingt zu. Die Zielgruppe sind immer noch Menschen, die nicht viel verdienen, aber das Spektrum derer die keine Wohnung finden wird größer, wodurch sich die Spielräume für Rendite erhöhen.

Wie verhält sich denn die Wohnungsgenossenschaft?

Ihr geht es viel darum, eine ausgeglichene, zufriedene, ruhige Mieter*innenschaft zu haben, wo es wenige Konflikte gibt. Das erreichen sie durch ein sehr persönliches Auswahlverfahren. In den Interviews habe ich deutlich gemerkt, dass gute Mieter*innen stark mit einem gewissen Einkommen assoziiert werden. Es gibt auch dort immer noch ein paar Wohnungen, die an Wohnberechtigungsscheine (WBS) gebunden sind. Aber auch dort achten sie darauf, wer da reinkommt. Und das bedeutet dann oftmals, dass man die handverlesenen Mieter*innen pickt, wo man vielleicht sieht, dass die Einkommensgrenze reicht, um einen WBS zu beantragen. Teilweise weisen sie die Leute selber darauf hin. Auch eine sozial recht undurchlässige Vergabe.

Das heißt, die Bestandsmieter sind zufrieden, aber Wohnungssuchende, die zu arm sind, finden dort auch keine Wohnung?

Genau. Das kann man schon so sagen.

Die landeseigene Stadt und Land nimmt dann aber alle, oder?

Wie die meisten kommunalen Wohnungsunternehmen in Berlin haben sie dieses Mantra der sozialen Mischung sehr verinnerlicht. Es geht immer darum, dass nicht ein zu hoher Anteil an armer Bevölkerung oder Transferleistungsbeziehern in den Beständen wohnt, weil sie Angst haben, dass da Viertel »umkippen«, wie sie es immer gerne genannt haben. Damit die Mischung stimmt, wird auch gerne mal eine Wohnung ein bisschen länger leerstehen gelassen, um zu gucken, dass da jemand einzieht, der das wieder ein bisschen ausgleicht. Anders als die Genossenschaft sind sie nach der Analyse meiner Arbeit auf jeden Fall sozial durchlässiger.

Wer gibt den nun armen Menschen Wohnraum?

An dem Viertel wird klar, dass eigentlich keiner der drei Anbieter*innen den Bedürfnissen armer Menschen gerecht wird. Entweder kommen Leute rein, die wenig Geld haben, müssen aber in richtig schlechtem Wohnstandard leben. Oder es ist sehr schwierig, dort reinzukommen, Service und Zustand sind aber besser. Es müsste wahrscheinlich mehr Kontrolle bei Genossenschaften geben, wie da ausgewählt wird. Andererseits kann man mit meiner Arbeit auch gut argumentieren, dass man weg von all diesen Eigentumsmodellen kommen müsste, um eine wirklich grundlegende soziale Wohnraumversorgung hinzukriegen.

Was wäre Ihr Modell dafür?

Das ist jetzt nicht Teil meiner Arbeit, aber man braucht einen Wohnungsbestand, der kollektiv verwaltet wird und nicht privates Eigentum ist. Wo auch für die Leute, die drin wohnen, eine klarere und stärkere demokratische Mitbestimmung gewährleistet ist. Das kann man in Ansätzen in der Genossenschaft schon sehen. Es fehlt dort jedoch die politische Dimension, die die Genossenschaftsbewegung einmal hatte.

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