Feiern wie die Franzosen

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.

Frankreich ist Fußball-Weltmeister. Und das ist gut so. Ich mag die Franzosen, sie sind ein nettes Volk, und ich sage das auch, weil ich als Enkel zweier Großväter, die vermutlich mehr als einen Franzosen erschossen haben (der eine im Weltkrieg Nummer 1, der andere im Weltkrieg Nummer 2), reichlich gutzumachen habe an den Franzosen. Nachdem die deutsche Fußballnationalmannschaft so schmählich früh aus dem Turnier in Russland ausschied (was ein schlechtes Omen ist, denn das letzte Mal, als eine deutsche Nationalmannschaft bei einem WM-Turnier gleich zu Beginn die Segel streichen musste - es war 1938 - ging das für die Welt nicht gut aus; ein Jahr später zettelte Deutschland einen Weltkrieg an), war ich fortan also für die Franzosen.

Eigentlich wollten meine Frau und ich das Endspiel bei Jean Claude anschauen, dem netten Franzosen, der am Tuchollaplatz in Lichtenberg eine kleine Bar betreibt. Das ist eine gute Adresse, denn der Platz trägt seinen Namen zu Ehren der nach den 1943 von den Nazis in Plötzensee hingerichteten kommunistischen Widerstandskämpfern Käthe und Felix Tucholla. Weil unsere Nachbarn aber einen Fernseher im Hof aufgestellt hatten, guckten wir das Spiel dann doch zuhause.

So um die 70. Minute herum meinte meine Angetraute, man könne ja jetzt doch noch zu Jean Claude gehen. Es stünde ja 4:1 und Jean Claude habe sicherlich schon den Sieger-Schnaps kalt gestellt. Selbstverständlich wies ich diesen Vorschlag empört zurück. »Bei einem solchen Spielstand so kurz vor Spielschluss in Jean Claudes Etablissement nur ob der Aussicht aufzutauchen, vom siegestrunkenen Franzosen ein kostenloses Getränk kredenzt zu bekommen, das gehört sich nicht, das ist schäbig!«

Also blieben wir im Hof. Dann war Schlusspfiff. Das Geräusch von explodierenden Böllern, wie bei dem Halbfinalsieg der Kroaten gegen England oder bei jedem Tor, das die Russen während der WM erzielt haben, waren nicht zu vernehmen. Ja, so ist er der Franzose in Berlin, er genießt den Sieg leise und in sich gekehrt.

Aber kein Vorurteil ohne Ausnahme. Einige Tage später, es war kurz nach Mitternacht, lag ich noch halbwach im Bett. Kurz bevor mein Körper in einen entspannten Schlummerschlaf übergehen konnte, wurde ich durch ein nervendes Geräusch genau daran gehindert - am Einschlafen. Irgendjemand versuchte direkt vorm Haus seinen Pkw am Straßenrand einzuparken. Offenbar war es eine sehr enge Parklücke, denn man vernahm ein Aufheulen des Motors, gefolgt von Schleifgeräuschen, wenn der Gummi des Reifens in Kontakt mit dem Bordstein kam. Immer, wenn ich dachte, jetzt steht das Fahrzeug in der Parklücke, ging die Prozedur von vorne los: Aufheulen des Motors, langsames Anfahren, Schleifgeräusch, Stopp, fünf Sekunden Motor im Leerlauf, dann wieder Motorjaulen …

Nach gefühlt zehn Minuten - ich war längst so hellwach wie Mario Mandžukić bei seinem Anschlusstreffer zum 2:4 - ging ich auf den Balkon, um nachzusehen. Dort stand der Pkw mit den Einparkproblemen bereits ordentlich eingereiht in der Parklücke - nach hinten und vorne jeweils ungefähr 1,5 Meter Platz. Die Beifahrerin war bereits ausgestiegen. Doch weder sie noch die Person hinter dem Lenkrad waren mit dem Einparkergebnis offenbar einverstanden. Immer wieder setzte der Pkw vor und zurück, fuhr ein Stück aus der Parklücke heraus, dann wieder hinein. Dann war man offenbar zufrieden, das Auto stand jetzt Stoßstange an Stoßstange zum vorausparkenden Fahrzeug - dazwischen hätte kein Fußballschuh mehr gepasst!

Dann stieg die Fahrerin aus, man holte die Rollkoffer aus dem Kofferraum, und beide unterhielten sich noch eine Minute unter meinem Balkon. Was sie sagten, verstand ich nicht, denn ich spreche kein Französisch. Aber vermutlich haben sie sich über den schönen finalen Einpark-Erfolg gefreut. Antoine Griezmann, Paul Pogba und Kylian Mbappé hätten nicht schöner - und lauter - jubeln können.

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