Ein Theaterspiel von Schein und Sein

Wolfgang Amadeus Mozarts »Così fan tutte« an der Kammeroper Schloss Rheinsberg

  • Irene Constantin
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein anmutiges Schloss, die Schatten alter Bäume, Kaffee und Stachelbeerbaisertorte, der See mit mild verschleierter Abendsonne darüber: Der Mensch nimmt sich eine Auszeit, wenn er ins brandenburgische Rheinsberg kommt. Will er an diesem Ort ausgerechnet Mozarts Oper »Così fan tutte« erleben, füllt sich diese Zeit zugleich mit Wesentlichem. Man kommt zum Nachsinnen über die Leichtigkeit und Schwere der Liebe. Musik und Spiel führen mit leichter Hand dorthin.

Der Sommer ist Opernzeit in Rheinsberg; gerade läuft »Così«, im August kommt der »Freischütz«. Für die Mozart-Oper hat die Leitung des Kammeropernfestivals mit dem musikalischen Leiter Ivo Hentschel, der Kammerakademie Potsdam und der Regisseurin Arila Siegert ein wahrlich luxuriöses Team für die Arbeit mit ihren jungen Sängern aufgeboten. Die gesamte Produktion sprühte vor Ideen, von der Regiekonzeption bis zum Bläsersatz im Orchester.

Mozarts Librettist Lorenzo da Ponte konstruierte ein Spiel mit sechs Personen in strenger Symmetrie - zwei Paare, die Frauen Schwestern, die Männer Freunde, dazu Hausfreund, Skeptiker und Philosoph, und energiegeladene Kammerzofe. Dazu hat ein kleiner Chor drei kurze Auftritte. In Rheinsberg ließ die Regisseurin zwölf Personen auf der Bühne agieren. Doppelte Besetzung; heute Abend steht die eine Sechsergruppe im Licht solistischen Ruhms, morgen Abend die andere. Die übrigen Sechs sind jeweils Chor.

Der hat aber weit mehr als drei kurze Gesangsnummern zu absolvieren. Siegert macht ihn zu dienstbaren Geistern, lässt ihn die See bewegen, ein Boot rudern, Seelen anfechten, Seelen spiegeln. Die Herkunft der Opernregisseurin aus Tanz und Choreografie ist unübersehbar. Tanzen lässt sie alle, das ganze Stück gerät alsbald ins Schwingen. So federleicht wie die Kleider und Schleier der Darsteller sind die Tücher und Türrahmen von Moritz Nitsche, welche die Säulenkolonaden im Rheinsberger Schlosshof als Bühnenbild ergänzen. Grob und schwer waren nur die Soldatenmäntel, kalkulierter Einbruch in die Sommerabendleichtigkeit.

Bekanntermaßen erproben die Männer in der Liebesgeometrie dieser Oper auf durchaus infame Weise die Treue ihrer Verlobten. Ob dies eine harmlose Verwechslungskomödie, eine nur wenig abgemilderte Variante der bösartigen »Gefährlichen Liebschaften« oder eine heitere jugendliche Amoure ist, weiß der Theatergott allein. Regisseure müssen sich entscheiden und auf Mozart hören. Allein, auch der lässt alles in ständigem Schwebezustand; über die Doppeldeutigkeit der Tenorarie »Un’aura amorosa« gibt es ganze Abhandlungen. Arila Siegert entschied sich, das doppelte Spiel einfach mitzuspielen. Mal ging Liebesleid unter die Haut, mal Ironie ans Zwerchfell. Spielmeister war immer der Komponist.

Am Ende erlebt das Publikum Transzendenz: Wir sind hier zwölf junge Sänger, wir spielen ein Theaterspiel von Schein und Sein, wir haben uns befreundet, vielleicht verliebt, keiner ist, was er spielt und was er heute spielt, ist morgen ein anderer. Ihr Zuschauer, denkt doch was ihr wollt. Wir singen und fliegen ein bisschen dabei. Geniale Idee von Arila Siegert: alle traten barfuß auf. Wie viel Freiheit ein paar nackte Füße vermittelten, ist unglaublich.

Ich hörte Eyrún Unnarsdóttir als eine koloratursichere und erstaunlich ausdrucksreife Fiordiligi, Cecilia Gaetani, Dorabella, hat eine wunderschöne substanzreiche Mezzo-Stimme, Andrey Yurkovskiy war ein leichter geschmeidiger Guglielmo und Ferrando gab es doppelt. Wegen Indisposition trat Kai Kluge nur auf und sang einige Rezitative; vielversprechend. Aus dem Graben der Schmelz von Stevan Karanac, leichte, wohllautende Mozartstimme mit wunderbarer Fähigkeit zum beseelten Piano. Anika Paulick war ein vorzügliche Despina, wandlungsfähig, witzig, stimmlich intensiv; Don Alfonso, Denis Denisov, schöner tiefer Bariton, schauspielbegabt, erfreulicherweise nicht zum »alten Philosophen« gezwungen.

Die Kammerakademie Potsdam musizierte auf historischen Instrumenten und damit so durchsichtig, so mannigfaltig und jeder Musiknummer ihren ganz eigenen klanglichen Charakter verleihend, dass man wieder einmal über die Emotionsdichte der »Così« nur staunen konnte. Ivo Hentschel am Pult hat genau diese Differenziertheit herausgearbeitet, unaufdringlich, aber genau. Man muss einfach nur dankbar für diese Arbeit sein.

Weiter Aufführungen: 25., 27. und 28. Juli.

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