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Gespalten wegen Fünf Sternen
Die italienischen Gewerkschaften streiten über ihre Strategie gegenüber der italienischen Regierung
Seit dem monatelangen Tauziehen und dem holprigen Amtsantritt der neuen Regierung in Rom aus der Rechtspartei Lega und der oft als linkspopulistisch bezeichneten Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) blicken viele abhängig Beschäftigte zwischen den Alpen und Sizilien erwartungsvoll auf den neuen Arbeitsminister Luigi di Maio. Er hatte als Chef der M5S im zurückliegenden kurzen Winterwahlkampf vor den Neuwahlen am 4. März Hoffnungen auf ein Ende der jahrzehntelangen Kürzungspolitik und eine Rücknahme von Verschlechterungen im Arbeitsrecht geweckt.
Zu seinen Versprechungen gehörten die Abkehr von der Rentenreform des früheren Arbeitsministers Fornero, die Einführung eines Mindesteinkommens für Erwerbslose und eine moderate Eindämmung von sachgrundlosen Befristungen bei Arbeitsverhältnissen durch die Senkung der Höchstdauer von 36 auf 24 Monate. So zog die M5S beim Urnengang am 4. März vor allem die Stimmen von Arbeitern, Arbeitslosen und Jugendlichen. Besonders erfolgreich war sie im traditionell unterprivilegieren und ärmeren Süden (Mezzogiorno), wo sie in manchen Arbeitervierteln größerer Städte auf bis zu 50 Prozent kam.
Demgegenüber holte die vom neuen Innenminister Matteo Salvini angeführte Lega die meisten Wählerstimmen vor allem im Kleinbürgertum und in den reicheren nördlichen Regionen des Landes. Auch wenn die M5S voller innerer Widersprüche und alles andere als eine »Arbeiterpartei« ist, war der massive Zuspruch für sie an der Wahlurne ein Ausdruck des Protests gegen die arbeitnehmerfeindliche Kürzungspolitik früherer Regierungen der Demokratischen Partei und des Ex-Premiers und Milliardärs Silvio Berlusconi, die beide als Verlierer aus der Wahl hervorgegangen waren. Dass noch in den 1980er Jahren die traditionsreiche Kommunistische Partei PCI auf der Apenninenhalbinsel mit Millionen Anhängern in der organisierten Arbeiterbewegung den Ton angab, wissen nur noch die Älteren aus eigener Erfahrung zu berichten.
Für arbeitende Menschen und einen wichtigen Teil der jungen Generation stellt die Fünf-Sterne-Bewegung mit ihrem vermeintlichen Anti-Establishment-Image so etwas wie die letzte Hoffnungsträgerin dar, die nach über 25 Jahren sozialen Rückschritts eine Wende bringen soll. Während sich Salvini in Wort und Tat als rassistischer Hardliner und Law-and-Order-Mann gibt und auf dem Rücken von Flüchtlingen vor allem im Kleinbürgertum und einer älteren Arbeitergeneration Punkte sammeln will, sind die Politiker der Fünf-Sterne-Bewegung auch nach der Wahl vorrangig um ein soziales und arbeiternahes Image bemüht.
Der Antritt der neuen Regierung hat auch die Gewerkschaften vor neue Herausforderungen gestellt. Im großen Gewerkschaftsdachverband CGIL laufen hinter den Kulissen bereits heftige Strategiediskussionen über den Umgang mit der Politik. Ein Flügel im Apparat möchte die historischen Beziehungen mit der Demokratischen Partei ausbauen, die schon längst zu einer bürgerlich-liberalen Partei geworden ist. Vertreter ihres ehemaligen sozialdemokratischen Flügels waren am 4. März mit dem Wahlbündnis »Liberi e Uguali« angetreten und hatten nur knapp die Drei-Prozent-Hürde übersprungen.
Ein anderer Flügel im CGIL-Apparat möchte enger und systematischer mit di Maio und seiner Bewegung kooperieren und vermittelte bereits Besuche des Ministers in Fabriken in Bologna und Neapel. Dabei war die Maio nach Augenzeugenberichten mit Erwartungen der Beschäftigten auf einen Politikwechsel konfrontiert. Ähnliche Erfahrungen machten auch anderswo frisch gebackene M5S-Abgeordnete, als sie in ihren Regionen Betriebe und Streikposten besuchten.
Doch der Arbeitsminister sucht aus eigenem Antrieb nicht die Nähe der großen Gewerkschaftsapparate und ist auch kein Freund von Flächentarifverträgen. Er scheint eher Kontakte zu kleineren Basis- und Spartengewerkschaften und Haustarifverträge zu bevorzugen. Dies könnte ihm künftig zu schaffen machen. Schließlich gehen Beobachter davon aus, dass di Maio seine sozialen Versprechen nicht erfüllen und daher mit seiner Fünf-Sterne-Bewegung sich nicht in der arbeitenden Klasse tief verankern wird. »Ohne einen Bruch mit der Eurozone und mit der Vorherrschaft der Banken und Großkonzerne kann die Maio die versprochenen sozialpolitischen Maßnahmen nicht umsetzen«, sagt Luca Paltrinieri, Betriebsrat und Mitglied der Metallgewerkschaft FIOM in Modena gegenüber nd.
Auf di Maio lastet nicht nur der Erwartungsdruck in den Betrieben und Arbeitervierteln, sondern auch der Druck des Unternehmerverbands Confindustria, der seine Pläne bereits kritisierte. Auch ein Verband kleiner und mittelständischer Unternehmen in der Lega-Hochburg Venetien forderte dieser Tage Salvini persönlich auf, die bestehende unternehmerfreundliche Regelung zu sachgrundlosen Befristungen nicht anzutasten. Angesichts einer hohen Staatsverschuldung würde die Umsetzung der versprochenen ausgabenwirksamen Maßnahmen den heftigen Widerspruch der EU-Kommission auslösen.
Zudem hat sich die neue Regierung auch eine steuerliche Entlastung von Unternehmen und Wohlhabenden vorgenommen, insbesondere eine radikale Senkung des Spitzensteuersatzes von 43 auf 25 Prozent. Eine solche Vermögensumverteilung von unten nach oben würde die Steuereinnahmen des Staates weiter schmälern und bei vielen M5S-Wählern in den Betrieben starken Widerwillen auslösen. So dürfte die Geduld der M5S-Wählerschaft begrenzt sein. »Die Enttäuschung über eine ausbleibende Umsetzung von Wahlversprechen wird über kurz oder lang wieder größere protestierende Menschenmassen auf die Straße bringen«, ist Luca Paltrinieri überzeugt.
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