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Liberale Logik demaskieren
Die Linke sollte sich den Leistungsbegriff wieder aneignen.
Kaum eine literarische Figur beflügelte in den vergangenen Jahren die Fantasien von linken Theoretikern so sehr wie die des Kopisten Bartleby aus Herman Melvilles Erzählung »Bartleby, der Schreiber«. Der schweigsame Titelheld, der in einer Kanzlei an der Wall Street tätig ist, beginnt eines Tages, Arbeitsanweisungen mit dem Satz »I would prefer not to« (»Ich möchte lieber nicht«) abzulehnen - zum Ärger seiner Vorgesetzten. Diese höfliche, aber resolute Leistungsverweigerung inspirierte mehr als 150 Jahre nach Erscheinen der Geschichte zu diversen Theorien der Passivität, der Müdigkeit und des Nichtstuns, mit denen der neoliberale Kapitalismus wenn nicht ausgehebelt, so doch immerhin empfindlich gebremst werden soll. Auch das »Recht auf Faulheit« von Karl Marx’ Schwiegersohn Paul Lafargue erfuhr im Zuge dieser sich vom Leistungsethos verabschiedenden Denkströmungen mehrere Neuauflagen. »Bartleby ist der Inbegriff eines Widerstands gegen die Ökonomie, sei sie eine Geld-, Sinn- oder Heilsökonomie«, schreibt Kathrin Busch in ihrem klugen Essay »Passivität«.
Es ist in der Tat verlockend, der »Work hard, play hard«-Ideologie einen passiven Kontrapunkt entgegenzusetzen und einfach nicht mehr mitzuspielen. Das aber, ändern sich die sozio-ökonomischen Verhältnisse nicht, muss man sich erst einmal leisten können. Manchen kommt daher ein bedingungsloses Grundeinkommen gerade recht, das Mußezeit ermöglicht und den Zwang zur Arbeit nimmt. Doch selbst wenn die von dem Philosophen Richard David Precht ins Spiel gebrachte Einkommensforderung von 1500 Euro monatlich für jeden Bürger Realität würde, blieben nicht nur die ungerechten Eigentumsverhältnisse unangetastet, auch würde dadurch der Kampf für mehr Lohn, bessere Arbeitsbedingungen oder gar eine Beteiligung an Unternehmensgewinnen entschieden geschwächt werden. Wenn Arbeit bloß noch dazu dient, das Grundeinkommen aufzustocken, verliert das Eintreten für mehr Gerechtigkeit an Vehemenz und Intensität, weil es nicht mehr existenziell, sondern lediglich als Bonus wahrgenommen würde. Schließlich wäre selbst ein Bartleby keine Bedrohung mehr: Von nun an könnte er sein »I would prefer not to« auf einem finanziellen Sicherheitspolster in seinen eigenen vier Wänden vor sich hersagen, anstatt seine Chefs zur Weißglut zu treiben.
Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens fällt nicht zufällig in eine Zeit, in der das Leistungsprinzip weitgehend ausgehöhlt ist, fällt doch vom Wirtschaftswachstum wenig für die Lohntüte ab, während aber die Börsenkurse nach oben schnellen. Dem Soziologen Oliver Nachtwey zufolge leben wir in einer »Abstiegsgesellschaft«. Er beschreibt in seinem gleichnamigen Buch, was Leistung einst meinte: »Der Besitz, das Einkommen oder die soziale Stellung sollten weder durch das ständische Herkunftsprinzip noch durch askriptive Merkmale wie Hautfarbe oder Geschlecht bestimmt werden, sondern das Resultat eigener Arbeit und Leistung sein.« Im Zuge der Neoliberalisierung aber »entstand eine Kultur des Erfolgs, in der nicht der Aufwand, sondern das Ergebnis zählt. Die ökonomischen und politischen Eliten stilisieren sich zu Leistungsträgern, und Leistung definieren sie über ihren Erfolg.« So wurde »in einem monströsen Akt der Selbstreferenzialität« Erfolg selbst zum Bewertungsmaßstab des Erfolgs. Nur so ist zu verstehen, wenn FDP-Politiker mit Sätzen wie »Leistung muss sich wieder lohnen« Wahlkämpfe bestreiten, haben doch die Liberalen dabei weder die Krankenschwester noch den Altenpfleger, sondern den Topmanager im Sinn.
Die nach Leistungsverweigerung rufenden Enkel Bartlebys tappen deshalb ebenso in eine Falle wie die Grundeinkommensbefürworter. Ohne auf diese beiden Diskurse explizit einzugehen, problematisiert dies Nina Verheyen in ihrem gerade erschienenen Buch »Die Erfindung der Leistung«. Schlaglichtartig erzählt die Autorin die Genese und Evolution des Leistungsbegriffs, der sich nach 1789 mit dem aufstrebenden Bürgertum etablierte und bald in der Schul- und Arbeitswelt, aber auch im Sport dominierend wird. Die leistungsorientierten Bürger und (etwas später) die Arbeiter setzten sich damit von der Aristokratie ab. Erst 1968 wird die Leistungsidee einer linken Fundamentalkritik unterzogen, die bis in die Gegenwart wirkt. Heute, schreibt Verheyen, »leben wir sowohl im Zeitalter der Leistung als auch in dem der Leistungskritik«. Für Letzteres gibt es zwar gute Gründe, nicht wenige zerbrechen am Leistungsdruck, doch liegt genau darin eine Chance, die politisch genutzt werden sollte: »Gerade heute ist die Kategorie Leistung ein wichtiger Hebel, um gegen marktradikale Tendenzen zu streiten. Es ist wenig umsichtig - um das Mindeste zu sagen -, mit dem Markt auch die Leistung verabschieden zu wollen, als steckten beide notorisch unter einer Decke.« Damit überlasse man den Leistungsbegriff einem konservativen Bürgertum, das ihn stolz vor sich herträgt, um vor allem zu bemänteln, dass Leistung und Lohn längst voneinander abgekoppelt worden sind - was allerdings nicht so sein müsste.
Das wird in der Debatte um das Grundeinkommen gern vergessen. Nicht nur deshalb wäre eine linke Wiederaneignung des Leistungsbegriffs sinnvoll, die sich aber zugleich vom Selbstoptimierungswahn distanziert, weil dieser systemische Ungleichheit verschleiert und stattdessen die Schuld beim Einzelnen sucht. Gewiss, der Liberalismus hat maßgeblich zur Etablierung des Leistungsdenkens beigetragen, nur so konnten feudale Strukturen überwunden werden. Durch nahezu unversteuerte Erbschaften und einen deregulierten Finanzmarktkapitalismus jedoch ist ein Neofeudalismus entstanden, den nun die Liberalen verteidigen, obwohl sie damit eigentlich gegen ihre liberalen Prinzipien verstoßen. Denn weder Erbschaften noch Börsengewinne sind erarbeitet. Würden die Linken jetzt den ursprünglichen, wirklich liberalen Standpunkt vertreten, wäre die verquere Logik der heutigen Liberalen demaskiert. Nur so könnte Leistung sich wieder lohnen.
Nina Verheyen: Die Erfindung der Leistung. Hanser Berlin, 256 S., geb., 23 €.
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