Die feine Kunst des Mordens

In der französischen Krimi-Serie »Art of Crime« finden die Verbrechen in der Szene schöner Künste statt

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Wir müssen über Tim Sander reden. Tim Sander ist ein Synchronsprecher von eher begrenzter Popularität. Das Timbre des gebürtigen Ostberliners klingt so unscheinbar, dass er auf keinen Hollywoodstar gebucht ist. Fans der HBO-Serie »The Wire« dürften ihn vielleicht als korrupten Gewerkschafter Nick in Erinnerung haben; darüber hinaus aber übersetzt Tim Sander vor allem B-Ware. Und das ist schade. Denn Sander zeigt auf ZDFneo, was in ihm steckt. Präzision nämlich, Zurückhaltung, also ein Hang zum Understatement, der selten ist im überdrehten Genre des Eindeutschens internationaler Produktionen.

Das Understatement prägt einen Charakter, der ebenfalls selten ist auf dem Bildschirm. Er heißt Antoine (Nicolas Gob), ist Hauptfigur einer französischen Serie, die ihrerseits kurios ist im globalen Krimi-Allerlei: »Art of Crime«. Nach dem Buch von Angela Herry-Leclerc und Pierre-Yves Mora ermittelt der äußerlich harte, innerlich fragile Cop Verbrechen im Bereich der europäischen Kunstszene und Achtung: Auch seine Partnerin weicht spürbar ab vom Mainstream des wichtigsten TV-Themas überhaupt. Während die Kunsthistorikerin Florence (Éléonore Gosset) durch und durch kultiviert ist, hält der robuste Cop die Namen der Meister eines dubiosen Gemälderaubs in Paris tendenziell für Fußballspieler und fragt sich auch sonst stets, ob all die Kunst um ihn herum nicht doch besser weg könnte. Klingt nach dem gewohnten Culture-Clash handelsüblicher Polizei-Duette. Ist es auch. Und doch steckt mehr hinterm Sechsteiler, der ab Freitag in Doppelfolgen ausgestrahlt wird. Als es im ersten Fall namens »Der Da Vinci Code« um das gestohlene Gemälde der Kunstmäzenin Catherine Dutilleil - gespielt vom französischen Kino-Monument Miou-Miou - geht, hinter dem womöglich ein Bild des Superstars der italienischen Renaissance steckt, zeigt »Art of Crime« seine Besonderheit. Die Charaktere sind vorwiegend dezenter als im Ermittlungsfach üblich. Regisseurin Charlotte Brändström versteht es hervorragend, den profanen Mordfall gleich zu Beginn durch die selbstreferenzielle Aura feudaler Kunstsammler zu veredeln. Und wenn die nebenbei zwangsneurotische Florence mit dem nebenbei scheidungswunden Antoine interagiert, gerinnt die ungewöhnliche Kraft dieses Teams nicht nur aus zwei dezenten Synchronstimmen. Es liegt auch am Sujet der drei Fälle an drei Freitagen.

Die bildenden Künste zum Thema einer Krimiserie zu machen, darf man in einer Zeit heillos verrohter Sitten nämlich durchaus als Statement verstehen. Wenn der Alltag von Hass und Hässlichkeit dominiert wird, kann die Rückbesinnung aufs Schöne, Erhabene, Entrückte auch dann etwas Tröstliches haben, wenn selbst in dieser Szene geklaut, betrogen, intrigiert wird, dass sich die Museumsdachbalken biegen.

»Art of Crime« zeigt uns eine Welt, die den Wert altersloser Meisterwerke mit einer berauschenden Innbrunst feiert. In dieser Atmosphäre wirken die notorischen Splitscreens zwar noch artifizieller als das blaue Licht im Labor. Aber die Serie strahlt eine kultivierte Erhabenheit aus, nach der man sich förmlich gesehnt hat.

Nicht alles daran ist gelungen, aber was gelungen ist, wirkt erfrischend wie ein Besuch in einer Gemäldegalerie bei Dauerregen. Umso mehr muss man an dieser Stelle zwei Hoffnungen Ausdruck verleihen: Bitte lasst Florence und Antoine kein Paar werden! Und gebt Tim Sander unbedingt mehr Synchron-Einsätze. Er hätte es auch auf besseren Sendeplätzen verdient.

ZDFneo, die sechsteilige Serie läuft in Doppelfolgen jeweils Freitags. Nächste Folge am 3. August, 21.45 Uhr. Alle Folgen in der ZDF-Mediathek verfügbar.

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