Zweifelhafter Freispruch in Aussicht

Im Prozess um den Wehrhahn-Anschlag vor 18 Jahren in Düsseldorf wird in dieser Woche das Urteil erwartet

  • Sebastian Weiermann
  • Lesedauer: 5 Min.

Vor 18 Jahren explodierte am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn eine Bombe. Zwölf Menschen wurden verletzt, ein ungeborenes Kind ermordet. Am Dienstag soll der Prozess gegen den mutmaßlichen Attentäter enden. Prozessbeobachter gehen davon aus, dass er die Tat begangen hat. Trotzdem ist mit einem Freispruch zu rechnen.

Ein paar Blumen an einem Drahtzaun auf dem Weg zu den S-Bahngleisen und dazu eine Papptafel. »Am schlimmsten war die stille, schweigende Bombe, die keiner außer den Betroffenen gehört hat.« - »Am 27.7.2000 wurden 12 Menschen Opfer eines Bombenanschlags. Ein Ungeborenes starb. Rassismus tötet.« Die Erinnerung an den Anschlag am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn, sie ist ein Provisorium. Aufgestellt von Antifaschisten, die am Freitagabend, zum 18. Jahrestag des Anschlags, eine Kundgebung abgehalten haben. Der Anschlag am S-Bahnhof Wehrhahn, er sitzt noch immer tief im Gedächtnis der Düsseldorfer Nazigegner.

Rückblick: Um 15.04 Uhr explodierte am 27. Juli 2000 eine ferngezündete Bombe, die in einer Plastiktüte auf der Fußgängerbrücke zu den Gleisen des S-Bahnhofs versteckt war. Die Bombe explodierte genau in dem Moment, als sich eine Gruppe von aus Osteuropa stammenden, teilweise jüdischen Sprachschülern auf der Brücke befand. Umherfliegende Bombensplitter führten zu zum Teil schweren Verletzungen. Ein ungeborenes Kind starb. Schnell wurde ein extrem rechtes Motiv für die Tat vermutet. Und sehr schnell geriet auch Ralf S. in den Fokus. Antifaschisten machten auf S. aufmerksam. Unweit des S-Bahnhofes und der Sprachschule betrieb er einen Militaria-Laden. Regelmäßig patrouillierte Ralf S. damals in Tarnkleidung, begleitet von seinem Schäferhund, durch den Stadtteil. Auch soll er immer wieder durch rassistische Pöbeleien aufgefallen sein. Die Sprachschüler, die täglich an seinem Laden vorbeigingen, sollen Ralf S. gestört haben. Ermittlungen, die es damals gegen S. gab, verliefen im Sande. Eine Hausdurchsuchung wurde später von Ermittlern als »oberflächlicher Stubendurchgang« bezeichnet. Ein Verhör im Polizeipräsidium wurde beendet, weil Ralf S. nach Hause wollte, sein Hund müsse raus und die Wäsche aufgehängt werden. Ralf S. wurde von polizeilicher Seite »die Tat nicht zugetraut«, wie antifaschistische Gruppen aus Düsseldorf kürzlich feststellten. Die Polizei habe »versagt«, sie habe die extreme Rechte verharmlost.

Anfang 2017 dann der vermeintliche Durchbruch. Ralf S. wird wegen des Anschlags festgenommen. Die Staatsanwaltschaft gibt sich überzeugt, den Täter überführt zu haben. S. soll den Anschlag gegenüber einer ehemaligen Freundin im Vorfeld angekündigt haben. Später soll er zwei Mal gegenüber Mitgefangenen mit der Tat geprahlt haben. Trotzdem wurde Ralf S. im Mai aus der Untersuchungshaft entlassen. Das Gericht teilte mit, dass »kein dringender Tatverdacht« bestehe. Dafür ausschlaggebend sei, dass sich »Angaben mehrerer Zeugen, denen gegenüber der Angeklagte den Bombenanschlag angekündigt haben soll oder denen gegenüber der Angeklagte die Tat gestanden haben soll, als nicht hinreichend belastbar erwiesen haben«, so das Landgericht in einer Mitteilung zur Haftentlassung von Ralf S.

Für Dominik Schumacher von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus eine nur schwer nachvollziehbare Einschätzung. »Natürlich handelte es sich um einen Indizienprozess. Wenn jedoch solch eine überwältigende Menge von belastenden Indizien gesammelt wurden, zerfällt die Argumentation der Kammer, es könne sich um eine endlose Kette von Zufällen handeln«, so der Rechtsex-tremismusexperte. Die Mobile Beratung hatte den Prozess vom ersten Tag an dokumentiert, in einem Blog werden regelmäßig Protokolle der Verhandlungstage veröffentlicht. Die Lektüre der Prozessberichte zeigt immer wieder, was für ein manipulativer Charakter Ralf S. ist und dass er offenbar auch vor Betrügereien keine Scheu hat. Eine ehemalige Lebenspartnerin, die aus ihrer vorherigen gewalttätigen Beziehung flüchten wollte, lockte er zum Beispiel damit, dass er für die Opferberatungsstelle Weißer Ring arbeite. Auch Bedrohungen gehören zum Repertoire von Ralf S. Ein Gefängnispsychologe berichtet von Drohungen gegen einen Mitgefangenen, dem S. die Tat gestanden haben soll und der sich anschließend, trotz der Drohung von Beugehaft, weigerte, im Prozess auszusagen. Seine ehemalige Lebensgefährtin soll S., gemeinsam mit einem seiner Verteidiger, nach einem Verhandlungstag mit dem Auto verfolgt haben. Verteidiger Ingo Schmitz bestreitet das. Man sei zufällig ein paar Kreuzungen hinter der Zeugin hergefahren.

Auch gegen Ende des Prozesses bleiben viele Fragen offen. Dass die Rolle des Verfassungsschutzes, der einen V-Mann im Umfeld von S. hatte, nicht thematisiert wurde, gehört zu diesen Unstimmigkeiten. Trotzdem sind sich Staatsanwaltschaft, Nebenklagevertreter und Prozessbeobachter einig, dass Ralf S. den Anschlag begangen haben muss. »Wenn Ralf S. nicht der Täter war, muss es ein höchst professioneller Doppelgänger gewesen sein, für den auf 178 000 Seiten Ermittlungsakten nicht ein einziger Hinweis existiert«, erklärt Schumacher. Wenn der Prozess am Dienstag mit einem Freispruch beendet wird, dann war es das wahrscheinlich endgültig mit der Aufklärung des Wehrhahn-Anschlages. Für eine Revision könnte die Staatsanwaltschaft den Bundesgerichtshof anrufen. Dieser prüft allerdings nur den ordnungsgemäßen Verlauf des Verfahrens. Eine neue Beweisaufnahme würde nicht anstehen.

Um den Opfern des Anschlags wenigstens ein Mindestmaß an Anerkennung zukommen zu lassen, forderte die Nebenklagevertreterin jüngst, dass am S-Bahnhof Wehrhahn eine Gedenktafel errichtet wird. Dieser Forderung schlossen sich am vergangenen Freitag die Antifaschisten mit der Papptafel an. Jetzt liegt es in der Hand der Stadt Düsseldorf, einen würdigen Gedenkort für die Betroffenen des rassistischen und antisemitischen Anschlag zu schaffen.

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