Lügen schützt vor Strafe

Der Wehrhahn-Prozess endet mit einem Freispruch. Erneut haben die Ermittler den Rechtsextremismus unterschätzt

  • Sebastian Weiermann
  • Lesedauer: 3 Min.

Nun ist also passiert, was Prozessbeobachter befürchtet hatten. Der Rechtsradikale Ralf S. ist freigesprochen worden. Das Düsseldorfer Landgericht sieht es nicht als erwiesen an, dass er den Anschlag am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn vor 18 Jahren begangen hat. Es handelt sich um einen Freispruch mit Ansage.

Indizienprozesse sind immer eine komplizierte Angelegenheit. Richter müssen Aussagen gewichten, Hinweise, die keine Beweise sind, bewerten und dann ein Urteil fällen. Im Hinterkopf haben sie dabei immer den Grundsatz: im Zweifel für den Angeklagten. Das ist gut und richtig. Trotzdem können und müssen auch solche Prozesse zu Verurteilungen führen können. Gerade wenn die Indizienkette so lang und in sich geschlossen ist, wie im Fall von Ralf S.

Den Anschlag am Wehrhahn hatte er angekündigt und gegenüber mehreren Menschen gestanden. Dazu war S. in die Düsseldorfer Neonazi-Szene eingebunden und hatte kein Geheimnis aus seinem Weltbild gemacht. Im Stadtteil rund um den S-Bahnhof war er immer wieder durch rassistische Pöbeleien aufgefallen. Dass Ralf S. nicht verurteilt wurde, liegt vor allem an zwei Faktoren. Erstens hatte S. sich vor Gericht als eine Art dauerlügender Dummkopf präsentiert. Er erzählte im Verlauf des Prozesses oft die Unwahrheit, auch Zeugen aus seinem privaten Umfeld berichteten von zahlreichen Lügen. Die Selbstbezichtigungen den Anschlag betreffend wurden vom Gericht einfach in die lange Liste der Lügen des Angeklagten eingefügt.

Zweitens: Vor 18 Jahren, als der Anschlag begangen wurde, wurde nur schlampig ermittelt. Für Polizei und Staatsanwaltschaft galt S. als rechter Spinner, nicht fähig zu einem Anschlag. Nur so ist zu erklären, dass eine damalige Hausdurchsuchung höchst oberflächlich blieb. An rechten Terror aus Düsseldorf glaubten die Ermittler nicht. Das ist allerdings kein Problem, dass die Düsseldorfer Ermittler alleine hatten und haben. Zu oft wurde und wird Neonazis nicht zugetraut, dass sie zu Terror fähig sind. Die Rechten gelten dann als »Waffennarren« und »Militärfreaks«, rechte Übergriffe werden als Streit unter Jugendlichen abgetan. Fast 200 Todesopfer durch rechte Gewalt sprechen allerdings eine andere Sprache. Wo sie können, üben Neonazis Gewalt aus.

Zurück bleiben immer wieder nur die Opfer rechter Übergriffe. Die sich viel zu oft selbst Verdächtigungen aussetzen müssen. In Düsseldorf glaubten die Ermittler eine Zeit lang, die russische Mafia sei für den Bombenanschlag verantwortlich, da die Opfer aus Osteuropa stammten. Im NSU-Komplex war es ähnlich. Wenn die Ermittler dann auf die richtige Spur kommen, ist es wie beim Wehrhahn-Anschlag allzu oft schon zu spät.

Für die Überlebenden bleibt nun, nach dem geplatzten Prozess nur noch die Hoffnung, dass ihr Leid wenigstens symbolisch Anerkennung findet. Die Nebenklage hatte im Verfahren gefordert, dass am S-Bahnhof Wehrhahn mit einer Gedenktafel an den Anschlag erinnert werden soll. Die Stadt Düsseldorf sollte dafür sorgen, dass es zügig so einen Ort der Erinnerung gibt.

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