Wachsendes Armutsrisiko

Heimbewohner müssen mehr aus eigener Tasche bezahlen - Diakonie fordert Weiterentwicklung der Pflegeversicherung

  • Bettina Markmeyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer im Pflegeheim lebt, muss immer mehr aus der eigenen Tasche bezahlen. In diesem Jahr sind es monatlich im Schnitt 140 Euro mehr als im Vorjahr. Noch deutlicher hat sich der Eigenanteil für das Drittel aller stationär betreuten Personen erhöht, die einen niedrigen Pflegegrad haben, nämlich im Schnitt um 200 Euro im Monat. Nach einer Erhebung des Verbandes der Privaten Krankenversicherungen (PKV), die am Freitag in Berlin öffentlich wurde, lag der Eigenanteil für pflegebedürftige Heimbewohner im Juni 2018 bei durchschnittlich 1831 Euro monatlich. Im Mai 2017 waren es noch 1697 Euro. Die Diakonie Deutschland und der Sozialverband VdK warnten, weite Teile der Bevölkerung könnten das nicht mehr bezahlen.

Alle Angaben beruhen laut PKV auf Daten von rund 11 000 der etwa 13 000 Pflegeheime in Deutschland. Am tiefsten in die eigene Tasche greifen müssen demnach die Pflegebedürftigen in Nordrhein-Westfalen. Dort kostet ein Heimplatz im Schnitt 2326 Euro im Monat. Es folgen das Saarland mit 2247 Euro sowie Baden-Württemberg und Berlin mit je 2098 Euro. Im Mittelfeld liegen unter anderem Bremen (1805 Euro) und Hessen (1896 Euro). Am preiswertesten sind Heimplätze in Sachsen und Sachsen-Anhalt, wo 1201 beziehungsweise 1205 Euro fällig werden.

Diakonie-Vorstandsmitglied Maria Loheide forderte angesichts der neuen Zahlen, die Pflegeversicherung müsse weiterentwickelt werden, damit sie für die Pflegebedürftigen und deren Angehörige »nicht eine Versicherung mit unkalkulierbaren Risiken« werde. Ein Drittel der Pflegebedürftigen sei inzwischen auf Sozialhilfe angewiesen. Loheide forderte mehr Geld aus der Krankenkasse für die Pflege im Heim sowie Steuerzuschüsse für die Pflegeversicherung.

Der Preis für einen Heimplatz setzt sich zusammen aus einem Anteil, der seit 2017 für alle Bewohner einer Einrichtung gleich ist - in jedem Heim aber unterschiedlich hoch. Diesen Anteil zahlt ein pflegebedürftiger Mensch zusätzlich zu dem, was er oder sie von der Pflegeversicherung bekommt, allein für die Pflege. Hinzu kommen Kosten für Unterkunft, Verpflegung und die sogenannten Investitionskosten des Heimträgers. Die Summe variiert von Heim zu Heim - und fällt auch von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich aus.

Als Hauptgrund für die Unterschiede zwischen den Ländern gelten die Personalkosten, die 80 Prozent der Heimbudgets ausmachen. Im Nordosten der Republik sind die Pflegelöhne um bis zu 1000 Euro niedriger als im reichen Südwesten. Außerdem gibt es in jedem Bundesland andere Vorgaben, wie viel Personal ein Heim haben muss. So versorgt etwa in Schleswig-Holstein, wo die Preise für Heimplätze niedriger sind, eine Pflegekraft statistisch gesehen fünfeinhalb Bewohner, in Nordrhein-Westfalen viereinhalb und in Berlin knapp vier Pflegebedürftige.

Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, nannte den steten Anstieg der Eigenbeteiligung in Pflegeheimen »ein hohes Armutsrisiko«. Die Lücke zwischen den Leistungen der Pflegeversicherung und den tatsächlichen Ausgaben privat schließen zu müssen, führe zur finanziellen Überforderung weiter Teile der Bevölkerung.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte kürzlich versichert, dass die Pflegebedürftigen mit weiter steigenden Kosten durch die angestrebte bessere Bezahlung von Pflegekräften nicht alleingelassen würden. Union und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, wachsende Personalkosten im Budget der Pflegekassen zu berücksichtigen. Dies führt entweder zu stärkeren Beitragserhöhungen, wie sie Spahn bereits angekündigt hat - oder die Pflegeversicherung müsste zusätzliche Mittel aus Steuern erhalten. epd/nd

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