- Politik
- New York Times gegen Trump
Ziemlich beste Feinde
»New York Times«-Herausgeber Sulzberger lässt Trumps Hetze nicht unerwidert.
Die Behauptung, Donald Trump sei unberechenbar, muss mittlerweile als stark übertrieben gelten. Oft tut er zum Beispiel das Gegenteil von dem, was er ankündigte - und ist so recht vorhersehbar. Arthur Gregg (»A.G.«) Sulzberger, der neue Herausgeber der »New York Times«, der am Sonntag erst 38 wird, schien das zu ahnen. Als er ins Oval Office eingeladen wurde, nahm er daher nicht nur den Verantwortlichen für die Meinungsseite, sondern auch ein Notizheft mit. Er tat dies, obwohl Trump das Gespräch vorab als vertraulich eingestuft hatte. Sulzberger täuschte sich nicht. Tage darauf twitterte der Präsident, er habe mit Sulzberger »die riesige Zahl von Fake News« diskutiert und dass Falschmeldungen Journalisten zu »Feinden des Volkes« machen.
A.G. Sulzberger, nach Übernahme des Verlegerpostens am 1. Januar faktisch noch in Probezeit, ließ Trumps Fehldeutungen nicht unerwidert. Die »Times« veröffentlichte Sulzbergers Erklärung. Er habe Trumps Einladung zu dem Gespräch angenommen, um ihm bewusst zu machen, dass er dessen Rhetorik »für zunehmend gefährlich« erachte. »Ich habe ihm gesagt, dass ich den Begriff ›Fake News‹ für falsch und schädlich halte, dass ich aber noch besorgter bin über seine Etikettierung von Journalisten als ›enemy of the people‹.« Solch aufrührerische Sprache trage zu Drohungen gegen Journalisten bei und werde »zu Gewalt führen«.
Trump hatte dem Jungverleger solch Echo nicht zugetraut. Wohl auch, weil die Meriten Sulzbergers, unverheiratet und praktizierender Vegetarier, überschaubar sind: In Washington geboren, besuchte er nach einer Privatschule die Brown University in Rhode Island, wo er 2004 in Politikwissenschaft abschloss. Es folgten ein Kurzpraktikum beim »Providence Journal« in Wakefield (Rhode Island) und drei Jahre als Nachrichtenreporter für »The Oregonian« in dem Westküstenstaat. 2009 begann er für die »New York Times« zu schreiben, wurde vor drei Jahren zum Vize-Chefredakteur, vor zwei Jahren zum Vize-Herausgeber und Dezember 2017 zum neuen Verleger ab Januar ernannt.
An keiner Zeitung reibt Trump sich so oft wie an der »New York Times«. Er beschimpft sie als »scheiterndes und korruptes« Blatt - und gibt ihr gleichwohl Interviews oder lädt deren Repräsentanten ein. Die Wut auf die »Times« und die Furcht vor ihr halten sich die Waage. Das ist nicht neu, doch mit keinem Präsidenten war der Konflikt so giftig wie mit dem jetzigen. Das hängt mit dessen Charakter und mit der Grundhaltung der Zeitung zusammen, die 1851 gegründet und 1896 vom deutschstämmigen Adolph Simon Ochs erworben wurde. Beides klang auch in der Laudatio an, die Bundespräsident Steinmeier Ende 2017 in Hamburg zur Verleihung eines Preises der »Zeit« an die US-Zeitung hielt: »Wir ehren heute eine Autorität der Aufklärung - die Gray Lady, die New York Times. Wir ehren einen Leuchtturm der Vernunft in einem Zeitalter grassierender Unvernunft. Wir ehren ein Flaggschiff der Pressefreiheit in einer Zeit, in der Denis Yücel und Hunderte Journalisten in der Türkei im Gefängnis sitzen, in der in Russland unabhängige Zeitungen zu ausländischen Agenten erklärt werden und in der selbst in westlichen Demokratien der Sinn und Wert der freien Presse infrage gestellt wird - und sei es nur mal nebenbei per Tweet am frühen Morgen.«
Die Übernahme des Chefpostens durch A.G. Sulzberger wurde weithin als Zeichen gewertet, dass das Blatt auch künftig seine Qualitätsansprüche verfolgen und sich der grassierenden Boulevardisierung der Branche versagen werde. Die Redaktion schärfte nach Trumps Wahl ihre journalistischen Waffen. Auf Trumps Entgleisungen und Fake-News-Feldzüge reagierte sie mit mehr Reportern, Faktenprüfern und Investigativ-Leuten. War schon das nicht selbstverständlich in einem Land, in dem Comedy den Platz von Berichterstattung übernommen hat, kommt das bisherige Ergebnis einem Pressewunder gleich: Trump bescherte der »Times« Aufschwung. Allein im vierten Quartal 2016 wuchs die Online-Auflage um 270 000 auf 1,6 Millionen Abos. Sie liegt damit klar vor der gedruckten Ausgabe mit rund einer Million Käufern.
Nicht dass das börsennotierte Blatt aus Manhattan damit krisenfrei wäre. Das kann heute keine Tageszeitung von sich behaupten. Noch im Januar, parallel zum Einstand Sulzbergers, kündigte Chefredakteur Dean Baquet Personalkürzungen in der größten US-Zeitungsredaktion an. Sie beschäftigt aktuell 1250 Redakteure, davon 75 Auslandskorrespondenten. Insgesamt ist die »Alte Dame« dennoch weiter eine Erfolgsgeschichte. Keine andere US-Zeitung ist, national wie international, so einflussreich. Keine Redaktion hat so viele Pulitzer-Preisträger (117), kaum eine so viele Enthüllungen hervorgebracht. Darüber nicht zu ignorieren sind Fehlschläge des Flaggschiffs: Die unkritische Übernahme der Behauptung des Weißen Hauses zu Massenvernichtungswaffen im Besitz des irakischen Diktators Saddam Hussein. 2003 die Bloßstellung eines Redakteurs, der mehrere Artikel gefälscht hatte. Oder die Prognose am Wahltag 2016, die Wahrscheinlichkeit eines Sieges von Hillary Clinton betrage 84 Prozent. Bemerkenswert jedoch auch in solchen Fällen: Die »Times« verschwieg ihr Versagen nicht. Sie berichtete darüber. Zumeist groß.
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