Werbung

Sammlung ist eine Frage der Bewegung

Andrea Ypsilanti sieht Wagenknechts Sammlungsbewegung als Versuch einer Antwort auf die sozialdemokratische unbd sozialistische Leerstelle

  • Andrea Ypsilanti
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Inszenierung passt. Im Dezember der Auftakt mit den Interviews von Wagenknecht und Lafontaine, die Erwartungen schürten. Im Januar die Gerüchte, wer Unterstützer*in sei könnte. Jetzt die Eröffnung der Internet-Plattform mit Dylan und Clips, aber ohne Text.

Man könnte meinen, der legendäre Steve Jobs stelle sein neues iPhone vor. Aber tatsächlich geht es um etwas Wichtiges: Einen neuen, linken Aufbruch. Doch ob solch ein etatistisch, dramatisiertes Experiment von oben nach unten gelingt, ist zunächst einmal offen.

Eigentlich ist es nicht verwunderlich, dass es ein großes Bedürfnis nach Sammlung ausserhalb des Parteienspektrums gibt. Keine der Parteien, schon gar nicht die »Volksparteien«, scheinen eine Antwort auf das Gefühl und den Alltagsverstand breiter Bevölkerungsschichten zu haben, dass es »so nicht weitergehen kann« und »sich was ändern muss«. Die Verunsicherungen, die Nöte, aber auch der dringende Wunsch und die Hoffnung auf Veränderung des festgefahrenen Status quo der großen Koalition in Deutschland, wie der durch die europäischen Verträge festgezurrten, neoliberalen europäischen Verhältnisse, werden von der herrschenden Klasse nur mit einem bleiernen, uninspirierten, undemokratischen oder gar reaktionären »weiter so« beantwortet. Die Hoffnung auf eine sozialdemokratische und sozialistische Antwort in Deutschland und Europa bleibt weitgehend unbeantwortet, mit Ausnahme von England und Portugal.

Die Initiative, von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine angestoßen, soll also die Antwort auf die sozialdemokratische Leerstelle in der Bundesrepublik sein. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Den Vergleich, den die Initiator*innen allerdings mit Podemos und Syriza und so fort wagen, ist für mich falsch. Diese Bewegungen sind aus der Gesellschaft heraus von unten entstanden, mit der Besetzung der öffentlichen Räume und Plätze und den konkreten Widerstandsprojekten im den austeritätsgeplagten Ländern, Kommunen und Organisationen und haben sich dann erst Form und Führung gegeben. Die Sammlung »Aufstehen« ruft quasi von oben zur Bewegung auf. Das ist etwas gänzlich anderes und es muss sich herausstellen, ob aus der Sammlung eine Bewegung werden kann.

Eine reine Abwehrhaltung gegenüber dieser Idee der Sammlung, wie sie in den sozialen Netzwerken zu lesen ist, bringt uns aber auch nicht weiter. Dabei ist der kritische Diskurs um die Thesen und Ziele durchaus angebracht. Dass die gesellschaftliche Linke endlich zusammenfindet und Gemeinsamkeiten und Schnittmengen aufzeigt, um eine politische Alternative zu beschreiben, ist zur Zeit eher ein großer Konsens innerhalb der bewegten Linken. Genau dieses Bedürfnis greift die Sammlung auf.

In ähnlicher Intention, aber mit anderer Richtung, hat das Institut Solidarische Moderne mit seinem Aufruf »Solidarität statt Heimat« zivilgesellschaftlich einen Nerv getroffen. Mehr als 18.000 Unterschriften innerhalb kurzer Zeit belegen das. Dieser Aufruf, gemeinsam mit Kritnet und Medico, ist gerichtet gegen die zunehmende Hetze, den Rassismus, die verschärfte und inhumane Geflüchtetenpolitik und die gezielten sprachlichen Entgleisungen (»Asyltouristen« etc.) der konservativ-bürgerlichen und rechten Parteien und Bewegungen. Auch das hat innerhalb der gesellschaftlichen Linken zu kontroversen Debatten geführt. So erfolgreich der Aufruf war, den viele auch unterschrieben, obwohl sie nicht in allen Punkten übereinstimmten, so sehr wurde er als Affront gegen die Sammlung Wagenknechts interpretiert.

In dieser verzwickten Lage erscheint ein gemeinsamer linker Aufbruch wie eine Quadratur des Kreises. Dabei wäre er zivilgesellschaftlich, politisch und kulturell dringend erforderlich, denn die rechtsextremen und rechtspopulären Kräfte sammeln sich durchaus.

Unbedingt muss der Blick aber auch auf die in der linken Zivilgesellschaft bereits erfolgreiche Sammlungen gerichtet werden. Das Institut Solidarische Moderne arbeitet seit 2010 wissenschaftlich, politisch und kulturell an gesellschaftlichen Alternativen und hat dafür mit einem breiten Netzwerk solidarisiert. Protestbewegungen wie Blockupy, TTIP, attac, die Refugee Gruppen, Europa neu begründen, die Seebrücke, Grundeinkommensbewegung, Solidarity Cities, die sehr aktive Klimabewegung, Degrowth, feministische und queere Bewegungen und viele andere mehr brachten und bringen hunderttausende Menschen gegen Rassismus, Austerität, Finanzspekulation, ungerechte Verteilung, Klimawandel auf die Straßen. Dabei geht es um nationale Fragen ebenso wie um das solidarische Europa und einen Diskurs über die Ursachen von Krieg, Flucht und Vertreibung.

Wenn diese kritische Masse als Akteurin einer politischen Alternative die progressiven Parteien so unter Druck setzt, dass sie das bleierne »weiter so« für sich selbst in Frage stellen und neue Bündnisse eingehen wollen, dann kann gemeinsam die Frage des sozial-ökologisch-kulturellen Umbaus der Gesellschaft bearbeitet werden. Das wäre etwas vollkommen anderes als eine Neuauflage des wohlfahrtsstaatlich-nationalen Projektes der Nachkriegszeit.

»Aufstehen« wäre ein Anfang, wenn die Frage nach einer Transformationspolitik nicht verstellt wird. Bestünde die Bereitschaft, über die nationalen Fragen hinaus für eine gemeinsame solidarische Europapolitik zu streiten, der europäischen Abschottungspolitik und auch der globalen Frage der imperialen Lebensweise nicht auszuweichen, gäbe es Gemeinsamkeiten. Dabei sind die universellen Menschenrechte nicht verhandelbar. Sammeln heißt nun einmal die Pluralität berücksichtigen, nicht ausgrenzen oder spalten.

Die Aufgabe, die sich stellt, erfordert die Schnittmengen zu finden, Gemeinsamkeiten zu stärken und eine strategische Allianz der linken Kräfte zu ermöglichen.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.