Eine uniformierte Gesellschaft
Hans Neuenfels kehrt mit Tschaikowskis Oper »Pique Dame« zu den Salzburger Festspielen zurück
Ein erbostes Publikum hatte im Jahr 2001 den (west-)deutschen Regie-Altmeister Hans Neuenfels in der Felsenreitschule nach einer schrägen und hochpolitischen »Fledermaus«-Aufführung fast von der Bühne gefegt.
So heftig geht es an der Salzach längst nicht mehr zu. Hinzu kommt, dass sich beim mittlerweile 77-jährigen Neuenfels in den letzten Jahren immer mehr ein klassischer Altersstil herausgebildet hat. Der ist nicht für schnelle Aufregung geeignet. Schon eher für das mit sogenannten Prominenten bis hinauf zur deutschen Kanzlerin gespickte Tamtam vorm Großen Festspielhaus.
Peter Tschaikowskis Oper »Pique Dame« wurde zunächst mal zu einem musikalischen Ereignis. Kein Wunder, wenn Mariss Jansons (75) am Pult steht und die Wiener Philharmoniker vor ihm sitzen. Seine Affinität zu Tschaikowski ist dem Letten anzumerken, jedenfalls kitzelte er auch aus den fabelhaften Wiener Musikern, die bei den Festspielen so etwas wie das Hausorchester bilden, russische Seele heraus. Er entfaltete den europalastigen, aber doch eindeutig russischen Ton gleichsam großformatig und nach außen und machte die Musik zu einem opulenten Fest. Dadurch wurde die Nähe bei Hermanns Eindringen ins Zimmer der Gräfin (für das sich auch der Bühnenraum einmal verkleinert) zum Höhepunkt des Abends.
Von ihr will Hermann ja das Geheimnis der drei Karten erfahren, um sich im Casino das Geld zu verschaffen, ohne das er seine angebetete Lisa nicht heiraten kann. Diese Szene imponiert auch wegen des Zusammenspiels der phänomenalen, von zarter Zerbrechlichkeit, zum Tode hin aber mit enormer vokaler Präsenz und Gestaltung gezeichneten Gräfin von Hanna Schwarz (74) und des stürmischen, virile Männlichkeit - mit nackter Brust und meist offener Uniformjacke - ausstellenden Brandon Jovanovich als Hermann.
Zusammen mit seinen Mitstreitern Christian Schmidt (Bühne) und Reinhard von der Thannen (Kostüme) hat Neuenfels seinen kühl analysierenden, auf einzelne Akzente setzenden Inszenierungen ein weiteres Großformat hinzugefügt, ohne sich in schmerzfreie Unverbindlichkeit davonzustehlen.
Der wie gekachelt ausgekleidete, geschwungene Einheitsraum erinnert an ein Casino oder einen Ballsaal und füllt gekonnt die immer heikle Salzburger Riesenbühne. Hier verfremdet Neuenfels seine Verdeutlichungen allemal so weit, dass sie zur Kunst werden und als solche Assoziationen ans Politische oder Gegenwärtige hervorrufen.
Hier ist die formierte Gesellschaft auch eine subtil uniformierte Gesellschaft. Hier bestimmt nicht individueller Wille die Bewegungen, sondern allenfalls Schwarmintelligenz. Da werden Chöre zu Tableau-Metaphern, die man auch einfach rein- und rausmarschieren lassen und auf stilisierte Bewegungen beschränken kann. Der große Auftritt der Zarin ist hier konsequenterweise eine Alptraumvision des leibhaftigen Todes. Aus diesem düster dräuenden Dunkel der Farbästhetik fallen nur die beiden Außenseiter heraus: der rot uniformierte Hermann und die Gräfin in ihrem grünen Kleid. Wenn Lisa in den Tod geht, öffnet sich im Hintergrund der geschwungenen, gekachelten Salonwand ein gleißend heller schmaler Spalt, auf den sie zugeht. Und Herrmann versinkt nach seinem Selbstmord auf dem grünen Spieltisch - so wie Don Giovanni - in die Hölle. In einer anderen Welt begegnen dürften die beiden sich nicht.
Grandios die Chöre (um die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor herum) und das festspielwürdige Ensemble.
Von Neuenfels mit klassischer Klarheit umgeben, können sich alle Protagonisten profilieren. Als Lisas Verlobter Fürst Jeletzki lässt sich Igor Golovatenko natürlich die Chance nicht entgehen, mit seinem an den Fürsten Gremin aus »Eugen Onegin« erinnernden Auftritt abzuräumen. Evgenia Muraveva ist eine hochsolide Lisa. Auch den übrigen Protagonisten gelingt es, die Figuren um Hermann und Lisa mit Profil auszustatten. Das Publikum applaudierte geschlossen für alle - ohne vor lauter Enthusiasmus das Ende des Abends aus dem Auge zu verlieren.
18./22./25. August
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