Spürhunde für die Menschheit

Projekt Icarus will Tierbewegungen bei nahenden Naturkatastrophen beobachten

  • Walter Willems
  • Lesedauer: 3 Min.

Die am Mittwoch von den russischen Kosmonauten Oleg Artemjew und Sergej Prokopjew an der Außenhülle des russischen Moduls der Internationalen Raumstation ISS montierte Antenne ist das Herzstück von Icarus - einem Mammutprojekt zur Tierbeobachtung, das nach langer Vorbereitung nun an den Start rückt. »Jahrelang haben wir über das Projekt gesprochen«, sagt Martin Wikelski, Direktor am Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell. »Jetzt geht es tatsächlich los.« Er hat das Projekt vor mehr als 16 Jahren erdacht und konzipiert. Bei Icarus wollen Forscher Tiere mit Minisendern ausstatten und mit Hilfe der ISS beobachten. Das soll Aufschluss geben etwa über die Wanderungen von Zugvögeln und so auch zum Schutz der Arten beitragen. Zudem soll Icarus - so die Hoffnung - in Zukunft als Frühwarnsystem für Epidemien und auch für Naturkatastrophen wie Erdbeben und Vulkanausbrüche dienen.

Schon lange gibt es Berichte, dass Tiere vor solchen Ereignissen unruhig werden - etwa Ziegen sich am Ätna vor Eruptionen auffällig bewegen. Diesen vermeintlichen siebten Sinn wollen Forscher mit Hilfe von Icarus nutzen. »Das System erlaubt uns nicht nur zu beobachten, wo ein Tier ist, sondern auch, was es gerade tut«, erläutert Wikelski. »Wir könnten ein globales System intelligenter Sensoren einsetzen, um die Welt zu beobachten.«

Im Rahmen von Icarus sind viele solche Untersuchungen geplant. So wollen Forscher etwa Papageien in Nicaragua in der Nähe eines Vulkans beobachten, Ziegen im bebengeplagten Mittelitalien besendern, Bären als Erdbebenwächter auf der ostrussischen Halbinsel Kamtschatka nutzen. »Wir fangen jetzt damit an, Tiere an Orten zu besendern, wo Naturkatastrophen auftreten«, sagt Icarus-Koordinatorin Uschi Müller.

Zunächst sind 1000 Sender geplant, die Zahl soll rasch steigen. »Letztlich wollen wir 100 000 tierische Spürhunde für die Menschheit«, sagt Wikelski. »Wenn wir all diese Informationen kombinieren, erhalten wir ein völlig anderes und neues Verständnis vom Leben auf diesem Planeten.«

Mit dem für Anfang 2019 geplanten Betrieb enden fast zwei Jahrzehnte der Vorbereitung. Kurz nach der Jahrtausendwende hatte Wikelski die Idee bei der US-Raumfahrtbehörde NASA vorgestellt - und war abgeblitzt, die russische Raumfahrtbehörde Roskosmos war aufgeschlossener. Als Namen wählte Wikelski Icarus - als Kürzel für International Cooperation for Animal Research Using Space.

Beteiligt sind neben Roskosmos vor allem die Max-Planck-Gesellschaft, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und die Universität Konstanz. Für das Projekt wurden eigens Minisender entwickelt, die sogar größere Singvögel wie etwa Amseln tragen können. Neben einer Solarzelle und einer Batterie enthalten sie sechs Sensoren, sagt Walter Naumann, Geschäftsführer der Firma I-GOS, die die sogenannten Basis-Tags mitentwickelt hat. Die Sender übermitteln nicht nur die Position des Tiers, sondern auch seine Beschleunigung, die Ausrichtung zum Magnetfeld der Erde, die Umgebungstemperatur sowie Luftdruck und Feuchtigkeit. Die Lebensdauer der etwa 500 Euro teuren Sender schätzt Naumann auf zwei bis drei Jahre.

Das Verhalten der Tiere ist dennoch schwer zu interpretieren. Wird eine Ziegenherde am Ätna unruhig, weil ein Ausbruch bevorsteht oder weil ein Wolf in der Nähe ist? »Die Interpretation vieler Daten müssen wir noch lernen«, sagt Naumann. dpa/nd

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.