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Frecher Günther
Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein nimmt kein Blatt vor den Mund und brüskiert so die eigenen Leute
Daniel Günther wirkt in der CDU vermutlich ähnlich polarisierend wie Bodo Ramelow in der LINKEN. Der Vergleich mag gewagt sein; abwegig ist er nicht. Dass er überhaupt in den Sinn kommt, ist zugleich das Verdienst dieser beiden Ministerpräsidenten selbst. Der eine in Schleswig-Holstein, der andere in Thüringen. Einen führenden Politiker der Konservativen mit einem führenden Politiker der Linkspartei zu vergleichen, wäre vor einiger Zeit als Fauxpas erschienen. Welten trennten und trennen nicht nur die Parteien, sondern auch ihre Mitglieder. Inzwischen dürften vor allem die beiden Politiker selbst keinen Anstoß daran nehmen, im gleichen Atemzug genannt zu werden.
Günther und Ramelow haben - jeweils auf ihre Weise - etwas geschafft, was ihnen zuvor nur wenige zugetraut hatten. Und sich damit um ihre Parteien verdient gemacht. Ramelow ist der erste Ministerpräsident der LINKEN; er sicherte dieser damit einen herausgehobenen Platz in der Exekutive der Bundesrepublik. Und er versöhnte sie so auf neue Weise mit der Gesellschaft, die sie zu überwinden angetreten war. Das ist für die LINKE zugleich ein Problem.
Daniel Günther hat seiner Partei die Regierungsmacht in Schleswig-Holstein erobert, als keiner daran glaubte. Derzeit wird er gerade - gewollt oder ungewollt - zum Stichwortgeber für unangenehme politische Wahrheiten, zum Enfant terrible der politischen Debatte, das mit seinen Interviews die Führungsleute der Union in Berlin in die Bredouille bringt. Deren Reaktionen offenbaren interessante Erkenntnisse über Denkstrukturen wie Kräfteverhältnisse, bringen Debatten auf den Punkt und damit voran. Das ist für Günthers Partei auch ein Problem.
Die CSU sah sich bemüßigt, Günthers Vorstoß zum geplanten »Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz« einzufangen. Abgelehnten, aber integrierten Asylbewerbern eine Bleibeperspektive gesetzlich zu eröffnen, das ging nicht nur der Landesregierung in München über die Hutschnur. Doch auch Unterstützer für Günthers Position meldeten sich zu Wort. Man kann staunend beobachten, in welch unterschiedlichen Sparten die CDU des Jahres 2018 domestiziert ist.
Dies wird von Beobachtern schon seit langem beschrieben. Trotzig gegründete rechtskonservative Gruppierungen in der CDU zeugten von dieser Fragmentierung. Der Berliner Kreis oder die 2017 gegründete »Freiheitlich-konservative WerteUnion« sind Zeichen einer Sammlung auf der Rechten. Und auch der Wechsel von CDU-Politikern wie Martin Hohmann zur AfD war eine Art Beleg für die rumorende Unzufriedenheit im rechten Flügel.
Sie waren vor allem Antwort auf den Kurs der Partei unter Angela Merkels Führung. Der Bundeskanzlerin und CDU-Chefin wird von den Konservativen in der Union vorgeworfen, die CDU nach links gerückt zu haben. Auch wenn dieser Vorwurf eine gesonderte Betrachtung verdient, wird er nicht zuletzt auch als Grund für die Konkurrenz durch die AfD betrachtet. Allerdings - nun zeigen sich erstmals Liberale in der Partei mit Sammlungsbemühungen. Vor Wochen bildete sich eine Basisplattform »Union der Mitte«, die sich als Unterstützerin Angela Merkels versteht. Auch Daniel Günther kann man zu Merkels Unterstützern zählen - ohne dass er damit bisher in ihre Abhängigkeit geraten wäre. Als er vor Tagen über die Zusammenarbeit von CDU und Linkspartei im Osten sinnierte, tat er das nicht zur Freude seiner Parteichefin, wie ihre Reaktion verriet. Sie lehne eine Zusammenarbeit mit der Linken-Partei ab, ließ sie kühl und knapp wissen.
Dass Günther ein solcher Gedanke, den er danach schnell relativierte, überhaupt in den Sinn kam, mag ein wenig auch an Bodo Ramelow liegen. Im Bundesrat begegnen sich beide Politiker nicht nur regelmäßig, sondern offenbar mit gegenseitiger Sympathie. Jedenfalls spricht Ramelow voller Anerkennung über Günther, darüber, wie souverän dieser die nicht unproblematische Koalition von CDU, FDP und Grünen in Kiel moderiert. Er erlebe, mit welchem Respekt die Regierungspartner miteinander umgingen, sagt Ramelow im nd-Gespräch. Er nennt es »aufregend und spannend«, wie dieser 45-jährige Günther drei so unterschiedliche Parteien unter einen Hut bringt. Und er findet, dass man in der Bundespolitik hiervon etwas lernen könne.
Ramelow war Daniel Günther auch in der Debatte beigesprungen. Wortgleich sprachen beide davon, dass man die »ideologischen Scheuklappen« ablegen müsse. Wenige Tage zuvor hatten die Ministerpräsidenten das NS-Vernichtungslager in Auschwitz besucht - eine gemeinsame Geste zur Unterstützung einer Reise jüdischer und muslimischer Jugendlicher aus beiden Bundesländern. Über eine Zusammenarbeit beider Parteien habe man dabei nicht gesprochen, so Ramelow. Aber bei den Themen Ausländerrecht, einer Altfallregelung für lange in Deutschland geduldete Flüchtlinge oder dem Spurwechsel vom Flüchtlingsstatus in den Arbeitsmarkt stelle er sehr viele Gemeinsamkeiten mit Günther fest.
Im Bundesrat sieht Ramelow seit langem ein Gremium, das Gelegenheit bietet, der Politik der Bundesregierung Alternativen entgegenzusetzen. Von politischem Aufwind und einer »regelrechten Renaissance« der Länderkammer hatte er kürzlich gegenüber der »Osnabrücker Zeitung« gar geschwärmt. Das gemeinsame und erfolgreiche Auftreten der Landesregierungen beim Länderfinanzausgleich oder der gemeinsame Vorstoß zur Ehe für alle - dies sind die Beispiele, die Ramelow als Belege nennt. Und für die Zukunft wären eine moderne Bürgerversicherung, eine Kindergrundsicherung und die Beitragsbefreiung von Bildung und Betreuung Ziele, für die er die Länderkammer gern in Stellung bringen würde. Daniel Günther ist ihm hier offenkundig ein willkommener Gesprächspartner.
Wenn der CDU-Ministerpräsident aus Schleswig-Holstein plötzlich Verständnis für seine CDU-Parteikollegen im Osten äußert, die sich der LINKEN als einer Volkspartei gegenübersehen, hat das sicher andere Gründe als jene, aus denen Bodo Ramelow den Bundesrat zur neuen revolutionären Plattform gegen die Große Koalition in Berlin ausruft. Ähnlich ist beiden jedoch, dass Konventionen in ihren Überlegungen wenig zählen.
Daniel Günther ist hier die Verkörperung einer neuen, pragmatischen Politikergeneration. Im letzten Jahr gelang ihm mit dem Wahlsieg im Frühjahr in Schleswig-Holstein ein kleines Wunder und damit zugleich die Eroberung einer Macht- und Achtungsstellung in der CDU. Er schaffte dies aus nahezu hoffnungsloser Situation, aber mit unbekümmerter Angriffslust, weil er persönlich nichts zu verlieren hatte. Seine Partei lag am Boden, schien keine Aussichten zu haben, der in Kiel rot-grün regierenden SPD das Wasser zu reichen. Mit seinen damals 43 Jahren war er - erst recht für CDU-Verhältnisse - ein Jungspund, sah überdies noch jünger aus und war sich dessen durchaus bewusst. Zwar saß er da schon acht Jahre im Landtag und war seit 2014 Fraktionschef der CDU. Spitzenkandidat und Landesvorsitzender wurde er jedoch erst im November 2016. Er habe mit seiner Kandidatur gezögert, gestand er später, weil er meinte, sein äußerer Eindruck könnte auch die Wähler beeinflussen.
Wenn es das tat, dann zu seinen Gunsten. Und mit der Bildung einer Jamaika-Koalition - der bundesweit erst zweiten nach einem vorzeitig beendeten Versuch 2009 im Saarland - wagte Günther außerdem eine Regierungskoalition, die noch immer als Experiment gilt. Gleichwohl sieht Günther Jamaika als ein Erfolgsmodell auch auf der Bundesebene. Bei den Sondierungen mit FDP und Grünen nach der Bundestagswahl gehörte er zu den Unterhändlern. Der Versuch scheiterte dann bekanntlich an der FDP.
Nunmehr wird Daniel Günther zum engeren Kreis um Angela Merkel gerechnet, ohne zu ihrem Hofstaat zu zählen. Er hat sich seine Unabhängigkeit bisher bewahrt wie seine Unbekümmertheit. Der verheiratete Vater einer kleinen Tochter wirkt bescheiden und freundlich. Und plötzlich aufrührerisch. Widersprüche ohne jede Kompliziertheit - Katholik im protestantischen Norden, Modernitätsbefürworter, der konservative Sicherheitspolitik vertritt. Und lächelnd wird Dr. Jekyll zu Mr. Hyde, wenn er seine politischen Sprengsätze deponiert. Offenbar ist er dabei mit sich im Reinen. Ausdauernd geradeaus, das könne er, meinte der Freizeitläufer in einem Interview mit der »taz«.
Dass er in seinen politischen Gedankenspielen urbanen Milieus zuneigt und die angestammte CDU-Wählerschaft auf dem flachen Land ihm eher fremd ist, dürfte nicht für ihn, aber durchaus für seine Partei ein Problem sein. Im Wahlkampf überspielte er die Distanz mit seiner volksnahen Freundlichkeit. Mit zunehmendem Alter wird er das Problem so freilich nicht los. Und wieder scheinen hier Grenzen zu anderen Parteien zu verschwimmen. Mindert die Kluft zwischen Modernisierern und Bewahrern in der eigenen Partei die Unterschiede zwischen den Parteien? Zumindest haben auch andere damit zu kämpfen. Wie sollen sie darauf reagieren, dass die Grünen die moderne und gebildete Stadtbevölkerung praktisch als ihren Erbhof ansehen?
Nicht zuletzt in der Linkspartei hat dieses Problem zu einem ernsten Richtungsstreit geführt. Den die Partei letztlich so ähnlich beantwortet wie die CDU. Man dürfe nicht das eine Potenzial gegen das andere ausspielen; beide seien für den Erfolg unverzichtbar - die traditionelle Anhängerschaft in der Arbeiterklasse ebenso wie eine moderne, städtische Klientel. Dieser Streit ist noch nicht ausgestanden. Weder in der CDU noch in der LINKEN.
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