Eine Flagge auf dem Weg von Rostock nach Pskow

Die Hanse hat heute fast so viele Mitglieder wie einst - nicht allen dürfte der nächste Ausrichter des Hansetages ins Kalkül passen

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Das letzte Juniwochenende kommenden Jahres haben sich Rathauschefs und hochrangige Kommunalpolitiker aus 103 deutschen Städten für eine Dienstreise reserviert, deren Ziel inzwischen nicht mehr so selbstverständlich ist: Es geht in das russische Pskow. Doch die 200 000-Einwohner-Stadt im Nordwesten Russlands richtet dann den 39. Hansetag aus - ein dreitägiges Festival, das zu den jährlichen Höhepunkten eines Städtebundes zählt, der sich stolz Neue Hanse nennt.

Eigentlich wurde die berühmte Namenspatin, die im 12. Jahrhundert und dann noch einmal im 17. Jahrhundert als Zusammenschluss niederdeutscher Kaufleute nachhaltig europäische Geschichte schrieb, nie aufgelöst. Insofern wäre die Neugründung im Jahre 1980 im niederländischen Zwolle formal gar nicht nötig gewesen. Schließlich dürfen jener Neuen Hanse nur Städte angehören, die einst schon im mittelalterlichen Bund mitmischten oder zumindest Kontore oder Niederlassungen der historischen »Düdeschen Hanse« (Deutsche Hanse) beherbergten.

Die ersten Jahre dümpelte die Neuauflage mit nur mäßiger Aktivität vor sich hin. Es war eher eine Art Traditionsklub geschichtlich ambitionierter Stadtpolitiker, die gern mal über Ländergrenzen hinweg gemeinsam ein Bier tranken. Hamburg gehört bis heute nicht dazu - im Gegensatz etwa zu Köln und Bremen. Doch das Ende des Kalten Krieges 1989/90 brachte auch das Ende der neuhanseatischen Trägheit. Nicht nur ostdeutsche Städte wie Rostock, Wismar, Frankfurt/Oder oder die bereits tief im Binnenland liegenden Kommunen Merseburg und Quedlinburg sorgten für neuen Schwung - vor allem bei einstigen Hansemitgliedern in Polen, Litauen, Estland, Lettland, Belarus und eben in Russland erwachten politische Visionen.

Damit wurden und werden gerade die jährlichen Hansetage auch zum politischen Schaufenster des neuen alten Städtebundes, dem sich von den einst rund 200 Mitgliedern inzwischen wieder 190 Städte aus 16 Staaten angeschlossen haben. Nötig hierfür war jeweils ein Aufnahmeantrag, über den eine Delegiertenversammlung befindet, in der jede Stadt mit einer Stimme präsent ist.

Wie begehrt die Ausrichtung der Hansetage ist, belegt die Tatsache, dass die Gastgeber schon jetzt bis zum Jahre 2039 (!) feststehen. Auch Pskow musste lange warten, obgleich nun schon 14 russische Städte zur Neuen Hanse gehören.

2009 immerhin agierte Weliki Nowgorod als Gastgeber - und das offenbar so nachhaltig, dass mit Olga Popowa die Vizebürgermeisterin der nordwestrussischen Großstadt dem fünfköpfigen Präsidium der Neuen Hanse angehört, das durch die Delegierten gewählt wird. Vormann, also Präsident, ist übrigens wie zu besten alten Zeiten stets der aktuelle Oberbürgermeister von Lübeck, seit Kurzem also Jan Lindenau (SPD).

Nicht allen im Städteverbund allerdings dürfte die Ausrichterstadt 2019 noch ins aktuelle politische Kalkül passen. Denn als vor einigen Jahren Pskow gewählt wurde, hing der politische Haussegen zwischen Russland und einigen seiner NATO-Nachbarn noch nicht ganz so schief. Dessen ungeachtet bereitet sich die Stadt zielstrebig auf das publicityträchtige Ereignis vor - auch mit aktiver deutscher Unterstützung.

So überreichte zum diesjährigen 38. Hansetag im Juni in Rostock Rathauschef Roland Methling (parteilos) die Hanse-Flagge feierlich an den Bürgermeister von Pskow, Iwan Tsetserski. Der fuhr daraufhin symbolisch die ersten 800 Meter einer internationalen Fahrradtour in seine Heimatstadt. Nach vielen Zwischenstationen soll die Flagge dann am 30. Juni 2019 in Pskow eintreffen und damit zugleich die »Botschaft des Hansebundes von Zusammenarbeit, gegenseitiger Verständigung und gemeinsamer Entwicklung vermitteln«, so Methling.

Auch in Mittelalter und Renaissancezeit gab es Hansetage. Sie nannten sich Tagfahrt und sollten gemeinsame Beschlüsse herbeiführen, die den wirtschaftlichen, kulturellen und Sicherheitsinteressen der Mitglieder besonders auch im Ausland dienten. Doch im 17. Jahrhundert scheiterte dies zunehmend, da solche Beschlüsse einstimmig zu fassen waren. Im Juli 1669 reisten so zum letzten Hansetag in Lübeck gerade noch neun Delegierte an.

Die Hansetage der Neuzeit fassen keine politischen Beschlüsse mehr. Dort schwelgt man in Geschichte, man will Handel, Tourismus und kreative Start-ups fördern, regionale Gastronomie- und Kulturtraditionen popularisieren und gegenseitiges Kennenlernen ermöglichen. Zudem diskutieren Politiker und engagierte Bürger aktuelle Themen aus Politik, Wirtschaft und Ökologie.

Neuen Auftrieb erhofft sich der Städteverbund, der sich mit über 20 Millionen Menschen aus verschiedenen Städten, Ländern, Kulturen und Traditionen »als größte öffentliche Vereinigung Europas« feiert, zudem durch ein neues Europäisches Hansemuseum in Lübeck. Zu dessen Eröffnung 2015 kam sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel. Hierbei würdigte sie das »identitäts- und einheitsstiftende Wirken der Hanse für die Gemeinschaft im heutigen Europa«. Ob sie dabei auch das ganze Europa gemeint habe, fragt sich heute in Hansekreisen manch einer besorgt.

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