- Politik
- Heiko Maas in Polen
Historische Sensibilität, strittige Gegenwart
Bundesaußenminister Heiko Maas besucht Polen und versucht, Ost-West-Spaltung der EU aufzuhalten
Es ist bereits der zweite Polen-Besuch von Heiko Maas in seiner Funktion als Bundesaußenminister. Das Treffen mit seinem Amtskollegen Jacek Czaputowicz fand diesmal allerdings fernab des politischen Warschaus statt und hatte fast schon spirituelles Klima. Am Montag besuchte der SPD-Politiker das ehemalige deutsche Vernichtungslager in Auschwitz-Birkenau und traf anschließend in einem Franziskanerkloster den polnischen Chefdiplomaten. Die symbolträchtige Szenerie passt zum aktuellen Stand der deutsch-polnischen Beziehungen: Maas weiß um die historische Sensibilität des östlichen Nachbarn, doch auch die Gegenwart stellt das bilaterale Verhältnis auf die Probe.
Seit ihrem Wahlsieg im Herbst 2015 sorgt die rechtsgerichtete PiS mit unzähligen innen- und außenpolitischen Konflikten für Schlagzeilen. Mit seiner absoluten Mehrheit im Parlament treibt Parteichef Jarosław Kaczyński seitdem eine »nationale Revolution« voran. Zwar ist die Reformbedürftigkeit der polnischen Justiz auch unter Experten unumstritten, aber das brachiale Vorgehen der PiS-Regierung sowie der offensichtliche Versuch, die Gewaltentrennung zwischen Exekutive und Judikative aufzuweichen, lösten im In- und Ausland Proteste aus. Im Dezember 2017 leitete die EU-Kommission ein Sanktionsverfahren gegen Polen ein. Auch das US-amerikanische Außenministerium sah die Unabhängigkeit der polnischen Rechtsstaatlichkeit gefährdet.
Die internationale Kritik kollidiert indes mit der Unterstützung, welche die PiS-Regierung in der Provinz und unter den Wendeverlierern genießt. Schon allein daraus leitet Kaczyński sein Mandat für den Staatsumbau ab. Die Statistiken scheinen diesen zu legitimieren: Die PiS schwebt von einem Umfragehoch zum nächsten und mit fast fünf Prozent liegt das Wirtschaftswachstum deutlich über dem EU-Durchschnitt. Dennoch wird der deutsche Außenminister bei seinem Polenbesuch einen derart kruden Eingriff in die Gewaltenteilung angesprochen haben.
Aber auch von polnischer Seite werden gegenüber der deutschen Regierung immer wieder Bedenken geäußert. Am schwersten wiegt der Vorwurf, dass Berlin sich um die polnische Rechtsstaatlichkeit sorgt, während die Probleme mit dem »lupenreinen Demokraten« Wladimir Putin unter den Tisch gekehrt würden, besonders wenn es um wirtschaftliche Interessen geht, wie beispielsweise bei der Gaspipeline Nord Stream 2. Direkte Übereinkünfte zwischen Berlin und Moskau rufen an der Weichsel seit jeher historische Flaschengeister auf den Plan. In dieser Situation greift die PiS-Regierung auf ideologische Versatzstücke aus dem Erbe Józef Piłsudskis zurück. Das »Intermarium«, eine von Warschau aus geleitete Konföderation von baltischen und slawischen Ländern, soll wiederbelebt werden und ehemalige Ostblock-Staaten endgültig vom wirtschaftlichen Diktat Moskaus befreien.
-
/ Aert van RielDie Grenzen des MultilateralismusAußenminister Heiko Maas geht in der EU-Politik auf Distanz zum französischen Präsidenten Emmanuel Macron
-
/ Nicolas ŠustrOder-Brücke: Freundschaftsbeweis in WeißNeue Oderbrücke kann nur der erste Schritt für Ostbahn-Ausbau sein
-
/ Jana FrielinghausHoffnung für den RechtsstaatJana Frielinghaus über das EuGH-Urteil zur Vorratsdatenspeicherung
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.