In einem anderen Land

»Another Country« ist ein Buchladen wie aus der Feder eines großen Meisters

  • Lee Wiegand
  • Lesedauer: 4 Min.

In der Riemannstraße Nummer 7, unweit der U-Bahnstation Gneisenaustraße, in einem kleinen Ladengeschäft, das auf den ersten Blick kaum jemandem auffällt, sitzt hinter einem kleinen Schreibtisch Sophia Raphaeline zwischen rund 20 000 Büchern. Vor ihr steht ein kleiner Ventilator von beachtlicher Stärke. Er lässt ihr volles Haar im Wind wehen und verleiht allem, was sie tut, eine cineastische Dynamik, egal ob sie gerade etwas isst, E-Mails beantwortet oder mit einem Lächeln auf den Lippen die Geschichte von »Another Country«, ihrem Buchladen, erzählt.

In den 80ern, noch bevor die Mauer fiel, war Sophia das erste Mal in Westberlin. Die Stadt gefiel ihr so gut, dass sie immer wieder kam, bis sie geblieben ist. »Ich liebe es, in dieser Stadt zu leben, in der Menschen verrückte Ideen nicht nur haben, sondern auch ausleben können.« Ganz anders als die Stadt, aus der sie gekommen ist, London, in der man nur leben kann, wenn der Geldbeutel voll genug ist und man den starren Konservatismus der britischen Hauptstadt erträgt. »Wenn man ohne eine Community leben kann, kann man getrost nach London gehen.« Ihre Community findet sie in Berlin, für sie ist sie bereit, etwas aufs Spiel zu setzen, und gründet in den 90ern »Another Country«. Seitdem hat sich der Laden zu einer festen Institution in Kreuzberg entwickelt, seitdem organisiert Sophia ununterbrochen Lesungen, Workshops und ähnliche Events, die bis heute guten Anklang finden.

In allen Ecken und Enden finden sich Bücher, manchmal ordentlich in den Regalen, manchmal muss man aufpassen, nicht über sie zu stolpern. Alle Genres sind vertreten, Bücher über deutsche und europäische Geschichte, Sachbücher, aber auch viel Science Fiction. Jedoch alles in englischer Sprache. Einen gedruckten deutschen Satz sucht man hier wahrscheinlich vergeblich, aber deswegen kommt auch niemand durch die schwere Eingangstür, die man mit einiger Kraft aufstoßen muss.Zwischen den Büchern finden sich allerlei Nippes im besten Sinne, geschmackvolle Gemälde, die alle selbst Geschichten erzählen können; ein goldenes Grammophon erinnert an längst vergangene Tage und ein Mannequin präsentiert dem aufmerksamen Beobachter Klamotten, die ihre beste Zeit überlebt haben.

Alles ist alt, mit Charakter, fast irreal, als stamme jeder Gegenstand, jedes Gefühl, das man hier erlebt, aus der Feder eines berühmten Autors. Auf der anderen Seite, ganz im Gegensatz dazu, ein moderner Beamer samt Leinwand, der zu Filmabenden einlädt.

»Another Country« ist mehr ein Antiquariat als ein Buchgeschäft. Gleichzeitig trifft auch dieser Begriff das Konzept nicht eindeutig. Denn viel mehr als ein Geschäft im eigentlichen Sinne, versteht sich Sophias Laden als eine Art Leihbücherei. Wer hier ein interessantes Buch entdeckt, hinterlegt den Kaufpreis an der Kasse und kann das Depositum abzüglich einer kleinen Leihgebühr wieder zurückerhalten, sofern er denn das Buch nach dem Lesen wieder zurückbringt. Erst wenn das nicht geschieht, gilt es als verkauft. Andere Bücher können hingegen nur ausgeliehen werden, zu wichtig sind sie Sophia; alle in der Community sollen die Möglichkeit haben, diese zu lesen.

Community, also Gemeinschaft. Sophia spricht oft davon, es ist ihr eine Herzensangelegenheit. Bei ihr tummeln sich regelmäßig diverse »Expats« und Exilant*innen, junge wie alte Brit*innen, Kanadier*innen, US-Amerikaner*innen und so weiter, die in Berlin entweder gestrandet sind oder wie Sophia das liberale Lebensgefühl der Stadt zu ihrem gemacht haben und doch manchmal ihre Muttersprache vermissen.

»Another Country« ist eine kleine englischsprachige Exklave in Berlin und weit über den eigenen Kiez hinaus dafür bekannt. Die Webseite »Lonely Planet« habe den Laden einst als einen der zehn besten Buchläden der Welt betitelt, erzählt Sophia mit einem gewissen schüchternen Stolz. Manchmal kämen Menschen deswegen von weit her, um selbst einmal zwischen den 20 000 Büchern zu stehen und den Geruch von altem Papier, Druckerschwärze und das Gefühl eines vertrauten Ortes, weit weg von zu Hause einzuatmen.

»Another Country«, Riemannstraße 7, Kreuzberg, www.anothercountry.de

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