Todesstoß einer notwendigen Debatte

Zeitung veröffentlicht sexistische Karikatur mit Handynummer der Schweizer Juso-Chefin

Oben ohne, dick, übermächtig, schreiend, den Büstenhalter schwingend, so stellt sich Karikaturist Pascal Coffez die Chefin der Schweizer Jusos Tamara Funiciello vor. Sexistisch, ja, erbärmlich, ja, doch das ist nur das, was einem als erstes ins Auge springt. Sie bildet außerdem ab, wie Funiciello zwei Musiker anschreit. Diese sind als klein, unterwürfig dargestellt, weggeblasen von der übermächtigen Frau, die völlig von Sinnen die beiden anschreit: » Meine Nummer lautet .... Man findet sie auf meiner Webseite, also, warum ruft ihr mich nicht an?« Was das »nd« an dieser Stelle auslässt, hat der Karikaturist tatsächlich in die Zeichnung gepackt: Die echte Handynummer der Juso-Chefin, veröffentlicht in der letzten Samstagsausgabe der Schweizer Zeitung »Schaffhauser Nachrichten«. Augenscheinlich, weil die Juso-Frau es gewagt hatte, öffentlich Kritik daran zu üben, dass sich manche Männer es anmaßen, auf die Handynummer einer Frau zu beharren.

In einer Rede gegen Gewalt gegen Frauen auf Grund eines aktuellen Falls in Genf hatte die Juso-Chefin Funiciello den diesjährigen Schweizer Sommerhit »079« des Künstlerduos »Lo und Leduc« kritisiert. Darin telefoniert ein Mann nacheinander alle Schweizer Handynummern mit der Vorwahl 079 ab, um eine Frau wiederzufinden, die sich geweigert hatte, ihm ihre ganze Nummer zu nennen. Nach Funiciellos Ansicht handele es sich um einen Song, der Männer zum Stalking motiviere und deshalb sexistisch sei. Das »Nein« der Frau im Song werde ignoriert.

In seiner karikaturistischen Replik bedient Coffez nun das althergebrachte Stereotyp der verbitterten, unattraktiven, aggressiven »Emanze«, die sich dem Künstlerduo sexuell anbietet. Mit der Veröffentlichung der Nummer der Juso-Chefin zeigt er zudem, was er von einem »Nein« zur Nummernherausgabe hält – augenscheinlich nichts.

Die Karikatur sorgte in der Schweiz für Empörung. Die »Schaffhauser Nachrichten«-Autorin Anna Rosenwasser zog sich nach über zehnjähriger Autorinnenschaft für das Blatt zurück: »Wenn das eure Haltung gegenüber emanzipierten Frauen ist, dann bin ich zwar umso überzeugter eine Emanze – aber nicht mehr eure«, schreibt sie in einer Stellungnahme auf Facebook. Funiciello selbst schreibt in ihrem Statement auf Facebook: »Haters und Patriarchen, ihr könnt versuchen uns still zu kriegen. Wir lassen uns nicht einschüchtern. Also fuck off.«

Robin Blanck, Chefredakteur der »Schaffhauser Nachrichten«, verteidigte die Karikatur gegenüber der kostenlosen Tageszeitung »20 Minuten«. Es sei zu keinem Zeitpunkt eine Verunglimpfung von Frau Funiciello beabsichtigt gewesen, gibt 20 Minuten Blanck wieder. Eine Karikatur »darf grundsätzlich alles und muss zuweilen auf das Mittel der Zuspitzung zurückgreifen – dagegen schreiten nur extremistische Kreise ein, wie wir bei ‹Charlie Hebdo›, der ‹Jyllands-Posten› (Mohammed-Karikaturen) und bei den Auftritten von Jan Böhmermann gesehen haben«, so Blanck. Außerdem seien keine Persönlichkeitsrechte verletzt worden, weil die Telefonnummer bereits öffentlich war.

Juso-Chefin Funiciello kritisiert, dass mit der Karikatur der Boden für die notwendige Debatte um Gewalt gegen Frauen in der Schweiz, entzogen wurde. In ihrem Statement schreibt sie dazu: »Diese Gesellschaft ist bereit jede absurde Diskussion zu führen - außer die über Männergewalt an Frauen.«

Auslöser für die Proteste und Funiciellos Engagement war ein brutaler Angriff in Genf am frühen Morgen des 9. August bei dem fünf Frauen von fünf Männern zusammengeschlagen worden waren. Eine von ihnen fiel ins Koma. Funiciello gehörte zu den Organisatorinnen. Die Kritik am Schweizer Sommerhit übte sie im Kontext dieser Proteste. Sie bezeichnete das gesellschaftliche Problem mit einer Pyramide: »Sie beginnt beim sexistischen Witz und der Belästigung und ende mit Vergewaltigung und Ehrenmord.«

Einen ersten Dämpfer erhielt die Debatte, als bekannt wurde, dass eine Augenzeugin laut Schweizer Boulevardzeitung »Blick« gesehen haben will, dass die Männer nordafrikanischer Herkunft gewesen seien. Mit der Karikatur verschob sich der Fokus ein weiteres Mal, auf die Frage, was Karikaturen dürfen und was nicht. Und ob, eine Politikerin derartig sexistisch verunglimpft werden dürfe. Oder ob es bei der Kritik an der Karikatur darum gehe, dass die Politik Kunst reglementiere. Um Gewalt gegen Frauen geht es dabei nicht mehr.

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