Früher war mehr Freiheit

Die Bundeskunsthalle Bonn hat ein ungewöhnliches Thema entdeckt: die Geschichte des Spielplatzes

  • Christoph Driessen, Bonn
  • Lesedauer: 3 Min.

Der neueste Trend auf Deutschlands Spielplätzen: Sicherheitsbewusste Eltern lassen ihren Nachwuchs nur mit Fahrradhelm auf die Schaukel oder ins Kletternetz. Dabei raten Experten dringend davon ab, weil der Helm hängen bleiben und das Kind im schlimmsten Fall strangulieren kann. Davon abgesehen, könnte man übervorsichtigen Eltern den Rat geben: Besucht die Bundeskunsthalle!

In dem Bonner Museum gibt es bis zum 28. Oktober auf großen Fotos Dinge zu sehen, die sie überraschen dürften: Kinder und Jugendliche erklimmen an Seilen einen selbst zusammengezimmerten haushohen Turm. Sie schmoren Stöcke in einem offenen Feuer. Sie heben Gänge aus. Ohne Aufsicht! Vor ein paar Jahrzehnten ging das noch alles. Die Ausstellung dokumentiert die Geschichte des Spielplatzes, in der sich immer auch Politik und Gesellschaft spiegeln.

Am Anfang war die Sandkiste, damals »Sandhaufen« genannt. Ende des 19. Jahrhunderts richteten viele Städte wie Hamburg, Dresden, Stuttgart und Leipzig solche Sandspielplätze ein. »Ein Platz im Sonnenlicht und ein großer Sandhaufen zum Selberschaffen, zum Bauen und Graben, das ist in der kleinen Welt schon ein Paradies der Jugendfreude«, hieß es 1909 in der Schrift »Das Spielen der Kinder im Sande«. In den USA wurde die Sandkiste übrigens nach deutschem Vorbild angelegt - in Boston.

Die ersten Spielplätze waren Schutzräume, die Kinder vor den Gefahren der industrialisierten Großstadt bewahren sollten. Bis heute sind diese Plätze in erster Linie ein Stadtphänomen. Die Kuratorin der Ausstellung, Gabriela Burkhalter, ist als Kind nie auf Spielplätzen gewesen, weil sie auf dem Land aufwuchs: »Wahrscheinlich hat gerade das mein Interesse geweckt.«

Vor allem in den Jahren zwischen 1950 und 1980 war der Spielplatz ein Experimentierlabor. Pädagogen, Stadtplaner, Landschaftsarchitekten und Künstler brachten sich ein. So erfand der Bildhauer Joseph Brown (1909-1985) die Kletterspinne: Als ehemaligem Profiboxer war es ihm wichtig, dass die Kinder in einem solchen »Zappelnetz« ihr Balancegefühl trainierten. Ein Exportschlager war der »Lozziwurm« des Schweizer Künstlers Iwan Pestalozzi - eine gewundene Röhre, durch die Kinder hindurchklettern konnten. Sie bildet den Mittelpunkt der Bonner Ausstellung, in deren Outdoor-Teil man sich selbst ausleben kann. Mittlerweile war aber auch eine Gegen-Bewegung zu »Schaukeln auf Asphalt« entstanden: der Abenteuerspielplatz. Hier sollten die Kinder selbst die Designer sein und sich mit Hammer, Nagel und Schaufel ihre eigene Welt gestalten. Der erste deutsche Abenteuerspielplatz entstand 1967 im Märkischen Viertel in West-Berlin, einer Trabantenstadt voller Hochhäuser. Ein »Playworker« aus London leitete die Bewohner an - in England hatte man damals schon 20 Jahre Erfahrung. Abenteuerspielplätze galten in der jungen Bundesrepublik als linke, antiautoritäre Projekte.

In den USA konnte sich das Konzept nie durchsetzen - man befürchtete Unfälle und hohe Schadensersatzforderungen. Die Angst vor Klagen hat mittlerweile zur Schließung vieler amerikanischer Spielplätze geführt - oder zu einer so radikalen Umgestaltung, dass sie höchstens noch für Kleinkinder attraktiv sind. Soweit ist es in Deutschland noch nicht, aber auch hier wird der Sicherheitsaspekt immer wichtiger, die Freiräume schwinden.

Allerdings sieht Burkhalter ein wachsendes Interesse an innerstädtischen Spielmöglichkeiten unter freiem Himmel: »Das auch unter dem Online-Aspekt - man befürchtet, dass die Kinder nicht mehr rausgehen und sich zu wenig bewegen.« Für Metropolen seien Spielplätze zudem eine Prestigesache, mit der sie ihre Kinderfreundlichkeit im internationalen Wettbewerb unter Beweis stellen wollten. dpa/nd

Die Ausstellung »The Playground Projekt« in der Bundeskunsthalle Bonn läuft bis zum 28. Oktober; Di/Mi 10 bis 21 Uhr, Do bis So 10 bis 19 Uhr

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