Gedenken an zwei Weltenretter

Wird es in Bonn einen Platz geben, der nach sowjetischen Offizieren benannt ist?

  • Siegfried Schmidtke
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine Todesanzeige im Internet weckte die Neugier von Uwe Schierhorn: »Im Herbst 2017 las ich auf einer Web-Seite: ›Stanislaw Petrov war am 19. Mai 2017 verstorben. Er rettete am 26. September 1983 als sowjetischer Raketenabwehroffizier die Welt vor einem atomaren Dritten Weltkrieg‹. Aufgegeben hatte die Anzeige ein Karl Schumacher aus Oberhausen.«

Uwe Schierhorn nahm Kontakt zu Schumacher auf und erfuhr, dass der Oberhausener Bestattungsunternehmer seit 1998 eine persönliche Verbindung zu dem sowjetischen Offizier pflegte. Schumacher besuchte Petrov mehrmals in Russland, lud ihn auch nach Oberhausen ein. Regelmäßig telefonierten sie. Vom Tod des Weltenretters erfuhr Schumacher im September 2017 bei einem seiner Anrufe von Petrovs Sohn Dimitri. Im Mai fuhr Schumacher dann nach Russland und besuchte das Grab Petrovs.

Falscher Alarm und gute Nerven

In der Nacht vom 25. zum 26. September 1983 saß der Raketenoffizier Stanislaw Petrov vor diversen Computern eines Luftüberwachungszen-trums nahe Moskau, als der Anflug von US-Raketen angezeigt wurde. Petrov traf eine einsame Entscheidung: Falscher Alarm, meldete er - und verhinderte so wahrscheinlich ein nukleares Inferno. Die Alarmanzeige kam wohl zustande, weil Reflexionen von Sonnenstrahlen in Wolken von den Frühwarnsystemen als Energieentladungen bei einem Raketenstart eingestuft wurden.

Wassili Archipov tat während der Kubakrise Dienst auf einem sowjetischen U-Boot, das mit nuklearen Torpedos bestückt war. Am 27. Oktober 1962 wurde dieses U-Boot von US-Zerstörern in internationalen Gewässern eingekesselt und mit Übungswasserbomben attackiert, um ein Auftauchen zu erzwingen. Zu diesem Zeitpunkt war den US-Streitkräften die Bewaffnung des U-Bootes nicht bekannt. Dessen Kommandant ging aufgrund des Beschusses davon aus, dass ein Krieg bereits begonnen haben könnte und wollte ein nukleares Torpedo starten. Archipov, dessen Zustimmung nötig gewesen wäre, verweigerte diese und brachte den Kommandanten schließlich dazu, aufzutauchen. So verhinderte Archipov eine fatale Kettenreaktion. nd

Uwe Schierhorn ist Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK). In seiner Ortsgruppe brachte er den Vorschlag ein, Straßen oder Plätze nach dem Kriegsverhinderer Petrov zu benennen. Schnell fanden die Friedensaktivisten heraus, dass vor Stanislav Petrov schon ein anderer Mensch die Welt vor einem atomaren Krieg bewahrt hatte. Der sowjetische U-Boot-Kommandant Wassili Archipov verhinderte während der sogenannten Kubakrise im Oktober 1962 den Einsatz von Atomwaffen vor der Küste der USA. Diese beiden wenig bekannten Männer sollten, so die Idee der DFG-VK, durch eine Straßenbenennung geehrt und damit auch bekannter werden.

Anfang Juli dieses Jahres ging bei der Stadt Bonn dann ein entsprechender Bürgerantrag ein. Amtlich lautete er: »Umbenennung der Straße ›Wilhelmplatz‹ oder einer gleichwertigen Alternative in ›Archipov-Petrov-Platz‹.« Schierhorn begründete seinen Antrag ausführlich: »Den sowjetischen Stabsoffizieren Wassili Alexandrowitsch Archipov (U-Boot- Kommodore 1962) und Stanislaw Jewgrafowitsch Petrov (Kommandeur Raketenabwehr 1983) haben wir es zu verdanken, dass die Menschheit (...) nicht bereits 1962 oder 1983 weitgehend ausgelöscht worden wäre. Beide verhinderten (...) das atomare Inferno, und das alles unter sehr hohem persönlichen Risiko.«

Dem solle nun mit der Platzbenennung endlich Rechnung getragen werden. »Es wäre eine hochverdiente Ehrung von Archipov und Petrov. Es wäre ein Zeichen, den aktuellen Atomwaffenverbotsvertrag zu unterschreiben, den die meisten Länder der Erde wollen«, so Schierhorn. Und: »Es wäre ein Zeichen für eine neue Entspannungspolitik und ein gutes Verhältnis zu Russland.« Nach Ansicht von Schierhorn hätte die Stadt Bonn als Regierungsstadt der Bundesrepublik Deutschland in Zeiten des Kalten Krieges zudem besondere Gründe, eine solche Ehrung auszusprechen. Auch sei der Name »Wilhelm« im Bonner Straßenverzeichnis über 15-mal vertreten. Zudem wäre der Änderungsaufwand beim Wilhelmsplatz mit seinen nur fünf Hausnummern gering.

Die Stellungnahme der Bonner Verwaltung erfolgte Ende Juli: »Bei dem Areal des Wilhelmsplatzes handelt es sich um die erste Stadterweiterung Bonns nach Beginn der Niederlegung der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Befestigungsanlagen. Bereits 1830 erhielt der Platz seinen Namen, der auf den damaligen preußischen Prinzen und späteren König und Kaiser Wilhelm I. zurück geht. Aus stadthistorischer Sicht kann daher einer Umbenennung des Wilhelmsplatzes nicht zugestimmt werden.« Auch weist die Verwaltung darauf hin, dass »bei den hier in Rede stehenden Persönlichkeiten (...) kein direkter Bezug zur Stadt Bonn besteht«.

Folge man dieser Argumentation, so der Antragsteller Schierhorn, wäre der direkte Bezug auch bei Mahatma Gandhi und Martin Luther King nicht gegeben. Trotzdem seien nach ihnen Bonner Straßen benannt worden.

Die endgültige Entscheidung fällt am 5. September 2018. Dann tagt die Bezirksvertretung Bonn öffentlich. Schierhorn hofft auf zahlreiche Unterstützer. Petrov-Freund Karl Schumacher jedenfalls will extra aus Oberhausen anreisen.

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