Vizepremier Salvini riskiert 30 Jahre Haft
Italien: Klage wegen Menschenrechtsverstößen
Italiens Innenminister und Vizepremier Matteo Salvini hat für den Rekord gesorgt: Am Freitag übergab der Staatsanwalt von Agrigento. Luigi Patronaggio, dem »Tribunale dei Ministri« in Palermo eine 50-seitige Anklageschrift, in der von erpresserischer Geiselnahme bis Amtsmissbrauch die Rede ist. Die sizilianische Teilsektion des Ministergerichts - der einzigen Instanz, vor der sich Regierungsmitglieder zu verantworten haben - muss nun binnen 90 Tagen entscheiden, ob sie ein Gerichtsverfahren eröffnen will. Sollte es zu Prozess und Verurteilung kommen, könnten dem Minister bis zu 30 Jahre Haft drohen.
Die Klageschrift verweist auf fünf Straftaten, die dem rechtspopulistischen Chef der Lega vorgeworfen werden. An erster Stelle steht »erpresserische Geiselnahme« gemäß Artikel 289 des italienischen Strafgesetzbuches. Staatsanwalt Patronaggio hält es für erwiesen, dass Salvini die 177 Flüchtlinge, die tagelang auf dem Küstenwachschiff »U.Diciotti« festgehalten wurden, als Mittel zur Erpressung der EU genutzt hat, um die Flüchtlingsregeln des Dubliner Abkommens zu unterminieren. Weitere Anklagepunkte sind »Menschenraub« und »gesetzwidrige Freiheitsberaubung« im Zusammenhang damit, dass die Menschen ohne jeglichen Strafvorwurf zehn Tage an Bord des Schiffes festgehalten wurden. Hinzu kommt der Punkt »Unterlassung von Amtshandlungen«. Der Innenminister hätte dem Küstenwachschiff einen sicheren Hafen zur Anlandung der Flüchtlinge zuweisen müssen. Im selben Zusammenhang wird Salvini »Amtsmissbrauch« in mindestens acht Fällen vorgeworfen. Der Innenminister habe zudem die Europäische Menschenrechtskonvention verletzt sowie gegen verschiedene Verfassungsartikel verstoßen.
Der Lega-Chef reagierte in seiner bekannt provokanten Art. Er sei bereit, vor dem Gericht auszusagen, jede erneute Klage sei für ihn wie eine »Medaille«, schließlich würden diese Vorwürfe sein Bestreben auszeichnen, »die Sicherheit des italienischen Volkes zu verteidigen«. Salvini gefällt sich offenbar in der Rolle des Märtyrers. Wie die Tageszeitung »La Repubblica« nachrechnete, war der Lega-Chef in den drei Monaten seiner Amtszeit an 60 Tagen auf Parteiveranstaltungen und Kundgebungen im ganzen Land aufgetreten, darunter bei 23 Wahlkampfveranstaltungen. Politische Aktivitäten, die weder mit dem Ministeramt noch mit dem des Vizepremiers zu tun hatten. Und das zu einer Zeit, da in Italien an vielen Orten Notstand vorherrscht - von den Erdbebengebieten in den Abruzzen bis hin zur Lage nach dem Brückeneinsturz von Genua. Hinzu kommt, dass die Lega gerade selbst in deutlichen Schwierigkeiten steckt. Das Überprüfungsgericht von Genua verhandelt den Fall schwarzer Kassen und illegaler Parteienfinanzierung sowie die Veruntreuung von Staatsmitteln. Für den 5. September wird das abschließende Urteil erwartet: Der rechtspopulistischen Partei droht eine Rückzahlung von 49 Millionen Euro an den Staat - dann, so Staatssekretär Giancarlo Giorgetti, könnte sie »den Laden schließen«.
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