Zwischen Aufbruch und Abriss

Schönste Dörfer Mecklenburg-Vorpommerns - was ist aus ihnen geworden?

  • Iris Leithold, Mühl Rosin
  • Lesedauer: 4 Min.

Malerisch ducken sich rote Dächer in die wellige Landschaft am Inselsee bei Güstrow im Norden Mecklenburg-Vorpommerns. Die Häuser gehören zur Gemeinde Mühl Rosin mit den Ortsteilen Mühl Rosin, Kirch Rosin, Bölkow und Koitendorf. Das Stereotyp vom sterbenden ländlichen Raum trifft auf den Ort nicht zu, die Gemeinde ist ausgesprochen lebendig. Mehrere Sportvereine, eine Fotogruppe, Bibliothek und Lesecafé, Chronikgruppe und Dienstagsmaler - unter dem Dach des Kultur-, Sport- und Bildungsvereins Bisdede, benannt nach einem einst in der Gegend siedelnden Slawenstamm, gibt es verschiedenste Mitmachangebote für die rund 1100 Einwohner. Eine Interessengemeinschaft Naturschutz entsteht gerade.

»Wir haben viel erreicht«, sagt Bürgermeister Ulrich Blau, ein pensionierter Lehrer, bescheiden. Die Gemeinde hat Grundschule, Hort, Dorfkonsum, Gaststätte und ein Haus der Vereine. An der Kita wird gerade angebaut, weil der Platz nicht ausreicht. »Gerade junge Familien wohnen gerne bei uns«, sagt Blau. Zur Arbeit fahren die Einwohner vor allem nach Güstrow, Rostock und Teterow. Im Dorf selbst gebe es auch etwas Gewerbe und einen Bio-Landwirt mit rund 1000 Hektar. Die Gemeinde ist nach den Worten des Bürgermeisters schuldenfrei - die Zukunft scheint gesichert. All dies war für die Jury des zehnten Landeswettbewerbs »Unser Dorf hat Zukunft - unser Dorf soll schöner werden« Grund genug, der Gemeinde Mühl Rosin 2018 den ersten Preis zu verleihen. Gemeinsam mit dem Zweitplatzierten, Dobbertin im Landkreis Ludwigslust-Parchim, wird Mühl Rosin Mecklenburg-Vorpommern beim Bundeswettbewerb 2019 vertreten.

Hoffnungszeichen und Vorbilder im ländlichen Raum sollen mittels des Wettbewerbs bekannt gemacht werden. Ziel sei es, »Menschen zu motivieren, die Stärken und Schwächen, Chancen und Risiken ihres Ortes zu erfassen, um daraus gemeinschaftlich Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln«, sagt Landesagrarminister Till Backhaus (SPD). Stolz verweist er auf sechs Gold- und ebenso viele Silbermedaillen für Dörfer aus Mecklenburg-Vorpommern bei den bisherigen Bundeswettbewerben. Doch was ist aus den Preisträgern geworden? Haben sich ihre Zukunftshoffnungen erfüllt?

Heinrichswalde (Landkreis Vorpommern-Greifswald) und Granzin (Landkreis Ludwigslust-Parchim) hießen die beiden Sieger des ersten Landeswettbewerbs im Jahr 1993. Die heutige Bürgermeisterin von Heinrichswalde, Carolin Kamke, war damals fünf Jahre alt. Später zog sie für die Ausbildung nach Stralsund, wie sie erzählt - ebenso wie ihr Ehemann. Als es an die Familiengründung ging, kehrten sie zurück. Seit 2012 wohnt Carolin Kamke wieder in Heinrichswalde, die Familie hat zwei Kinder. Oma und Uroma wohnen in der Nähe, die Kinder gehen in die örtliche Kita. »Wir haben hier eine hohe Lebensqualität«, schwärmt Kamke.Hier sei viel Natur und jeder kennen jeden. »Mit Kindern ist das ein Vorteil.« Mehrere junge Leute, die einst abwanderten, seien zurückgekehrt. Zum Arbeiten pendelten viele nach Pasewalk, Torgelow und Friedland, aber auch im Ort gebe es Betriebe, etwa ein Fuhrunternehmen, eine Putenfarm oder eine Brunnenbaufirma. Die Kita ist voll belegt.

»Unser einziges Problem ist, dass kleine Gemeinden wie wir finanziell nicht bedacht werden«, kritisiert Kamke. Mit der Kreis- und der Amtsumlage gehe ein großer Teil der Einnahmen gleich wieder weg. Ihr missfällt, für alles Förderanträge stellen und auf eine wohlwollende Entscheidung hoffen zu müssen. Der Gemeindesaal müsste dringend saniert werden. »Und wenn man viele Kinder in der Gemeinde hat, steht man auch gleich ärmer da.« Kamke ist gespannt auf den neuen Finanzausgleich des Landes, der kinderreiche Gemeinden besserstellen soll. »Noch ist da für mich nichts zu erkennen«, sagt sie.

In Granzin bei Lübz ist Bürgermeisterin Ariane Köhler weniger zufrieden mit der Entwicklung ihrer ebenfalls gut 400 Einwohner zählenden Gemeinde. Sie ist überzeugt: »Heute würden wir den Wettbewerb nicht mehr gewinnen.« 1993 habe es noch einen Kindergarten im Ort gegeben, eine Gaststätte sowie Dorfkonsum, Gemeindeschwester und Turnhalle. Sie stammten noch aus DDR-Zeiten. Inzwischen sei jedoch vieles den Bach runtergegangen.

Die Turnhalle, sagt Köhler, könne nach Prüfung der Dachkonstruktion nicht mehr als solche genutzt werden und für ein neues Dach fehle das Geld. Die Gemeinde sitze auf hohen Altschulden wegen einiger Neubaublöcke aus DDR-Zeit. »Ich würde gerne Balkone an diese Häuser anbauen, aber es ist kein Geld da.« Für den Einbau von Aufzügen für die oft älteren Mieter gebe es keine Zuschüsse, weil Granzin kein zentraler Ort sei. Die zu zahlende Kreisumlage wiederum sei ein harter Brocken, die jüngste Absenkung nur gering. Köhler strebt die Eingemeindung von Granzin nach Lübz an, in der Hoffnung, dass es danach irgendwie besser wird.

Bundesweit sind die Teilnehmerzahlen am Wettbewerb »Unser Dorf hat Zukunft - unser Dorf soll schöner werden« zurückgegangen. Ein Bericht des Bundeslandwirtschaftsministeriums nennt Gründe, die im Agrarministerium Mecklenburg-Vorpommerns geteilt werden, wie eine Sprecherin sagte. Danach beeinträchtigen Gemeindezusammenschlüsse, Kreisgebietsreformen und die damit einhergehende Verschiebung im Personalbesatz den Wettbewerb. Auf allen Ebenen sei eine Zunahme der Aufgaben zu verzeichnen. Auch die Überalterung der Dorfgesellschaft sei ein Grund. Damit gehe die Zahl von Initiatoren zurück. dpa/nd

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