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Geht also doch

Kontrollierte Freiheit: Ein Dokfilm über ein Montessori-Kinderhaus

  • Jörn Schulz
  • Lesedauer: 3 Min.

Messer, Schere, Feuer, Licht sind für Kinderhände nicht« - die meisten dürften diesen Reim in ihrer Kindheit gehört und sich darüber geärgert haben, dass ihnen etwas Interessantes vorenthalten wird. Im Montessori-Kinderhaus in Roubaix, über das Alexandre Mourot einen Dokumentarfilm gedreht hat, hantieren Drei- und Vierjährige ganz selbstverständlich mit Scheren und Streichhölzern. Der Zuschauer erwischt sich dabei, sich Sorgen um ihre Finger zu machen. Aber die Kinderhände kommen mit den nach herkömmlicher Erziehungsweisheit nicht für sie bestimmten Gegenständen gut zurecht.

Geht also doch. Auch andere Prinzipien, die Mourot hier vorführt, erscheinen einleuchtend. Es werden Kinder einer relativ großen Altersspanne (zweieinhalb bis sechs Jahre) gemeinsam betreut und dazu ermuntert, sich gegenseitig zu helfen. Der Erzieher hält sich zurück, die Kinder entscheiden selbst, welchen Aktivitäten sie sich widmen wollen. Es gibt keine Strafen und auch keine Belohnungen. Offenbar funktioniert das.

Mourot zeigt in langen Sequenzen die Aktivitäten der Kinder, meist sparsam kommentiert und ohne suggestive Musik. Gespräche mit dem Lehrer Christian Maréchal und Kommentare über die Montessori-Pädagogik liefern den nötigen Kontext. Das ist die Stärke dieses Films. Mourot macht die Lernprozesse sichtbar und nachvollziehbar. Dabei bleibt es allerdings auch. Vorgestellt werden weder andere Montessori-Schulen, etwa für ältere Kinder (funktioniert das alles auch in der Pubertät?), noch gibt es eine kritische Auseinandersetzung mit den Grundsätzen dieser Art von Pädagogik.

Wer etwas über die gesellschaftliche Bedeutung von Erziehung wissen will und auch, wer nur die geeignete Kita für sein Kind sucht, hat aber dann doch noch ein paar Fragen. So ist die Montessori-Pädagogik auf frühe Lernerfolge ausgerichtet, die man durch Ausnutzung von »sensiblen«, besondere Lernbereitschaft signalisierenden Phasen zu erreichen versucht - die Aktivitäten der Kinder werden als »Arbeiten« bezeichnet. Pädagogik besteht nicht zuletzt auch immer darin, Kinder auszutricksen. Es spricht nichts dagegen, schon im Alter von vier Jahren lesen zu lernen. Aber kommt die Montessori-Pädagogik in dieser Beziehung dem herrschenden Selbstoptimierungswahn nicht doch recht nahe?

Und ist die Freiheit der Kinder in einem sorgfältig in jedem Detail für die pädagogischen Ziele eingerichteten Raum womöglich nur eine scheinbare Freiheit? Hier geht es so diszipliniert zu, dass auch der lärmempfindlichste Restaurantbesitzer diese Kindergruppe gern in seinem Lokal begrüßen würde. Der sanfte Druck, mit dem dieser Zustand erreicht wird, könnte Probleme mit sich bringen. Die Verantwortung wird dem Kind aufgeladen, das möglicherweise eine übermäßige Anpassungsbereitschaft verinnerlicht.

Dass Maria Montessori (1870 - 1952) zu sehr an Normierung interessiert gewesen sei, gehört zu den gängigen Kritikpunkten an ihrem Konzept. Eindeutige wissenschaftliche Erkenntnisse über die Wirkung der Montessori-Pädagogik gibt es bislang nicht, im Hinblick auf die Persönlichkeitsentwicklung sind sie wohl auch kaum zu erbringen. Doch einige Prinzipien der Montessori-Pädagogik dürften in Zeiten der Helikopter-Eltern, die die selbstbestimmten Aktivitäten ihrer Kinder mehr und mehr einschränken wollen, eine sinnvolle Alternative zu gängigen Kontrollphantasien darstellen.

»Das Prinzip Montessori - Die Lust am Selber-Lernen«. Dokumentarfilm von A. Mourot, Frankreich 2017, 100 Minuten.

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