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- »Schäfchen im Trockenen«
Wie schafft ihr das?
Wohnen wird ständig teurer: »Schäfchen im Trockenen«, der neue Roman von Anke Stelling
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr - zu teuer. Die Hälfte aller Deutschen wohnt zur Miete und die steigt, vor allem in den Metropolen. Es gibt zwar Billigflüge, Billigessen und Billigkleidung, aber kaum noch billige Wohnungen.
Nur eins ist sicher: Beim Geld hört alle Freundschaft auf. Über dieses Sprichwort hat Anke Stelling ihren neuen Roman geschrieben: »Schäfchen im Trockenen«. Als Begleitheft empfiehlt sich die aktuelle »Prokla« mit dem Schwerpunkt »Zur (neuen) Wohnungsfrage«.
»Schäfchen im Trockenen« spielt selbstverständlich in Berlin, dem früheren Paradies für preiswertes Großstadtleben. Die Schriftstellerin Resi fliegt aus ihrer Innenstadt-Wohnung, in der sie mit ihrer Familie zur Untermiete wohnt. Ihr diese Wohnung zu überlassen, war ursprünglich eine nette Geste ihrer besser verdienenden Freunde - nachdem Resi sich von ihnen kein Geld leihen wollte, um mit ihnen ein schönes Haus für sie alle zusammen zu bauen. Ersatzweise bekam sie von ihrer ältesten Freundin deren alte Wohnung aufgedrängt.
Doch dann hat Resi das Hausprojekt ihrer Freunde porträtiert, erst in einer Zeitung und dann auch noch in einem Buch, durchaus freundlich, wie sie fand. Darüber waren die Freunde nicht amüsiert, aber sehr beleidigt. Zur Strafe muss Resi nun raus aus der Untermiete, raus nach Ahrensfelde, wo die Wohnungen billiger sind, aber weitab vom Schuss. In Suburbia, wo Leute wohnen, »die ihre Kinder im Buggy Red-Bull-Imitate trinken lassen und ab und zu aus Langeweile ohrfeigen« - glaubt sie zumindest.
Der Umzug steht erst nach den Herbstferien an. Bis dahin schreibt sie einen langen Brief an ihr ältestes Kind, ihre vierzehnjährige Tochter Bea, in dem sie über ihr bisheriges Leben und das ihrer Freunde nachdenkt. Dieser Brief ist der Rahmen des Romans und Resi die Ich-Erzählerin. Sie kommt aus eher einfachen Verhältnissen, verglichen mit denen, in die ihre Freunde hineingeboren wurden. »Wir befinden uns in unterschiedlichen Systemen«, erkennt Resi, aber erst als die Freundschaft vorbei ist.
Die Wohnung bekommt sie aus moralischen, nicht aus ökonomischen Gründen gekündigt. Sehr perfide. Einer ihrer ehemaligen Freunde aus der Baugruppe sagt zu ihr: »Du hättest mitmachen können. Es ist peinlich, wie du dich zum Opfer stilisierst.«
Früher, als sie noch fast alle zusammen in Stuttgart wohnten, hatten sie dieselbe Moral. Sie waren »politisch und sexuell andersdenkend«, wie Blumfeld damals sangen, auch wenn Resi es mehr mit Bruce Springsteen hält, der davon singt, »dass jeder ein hungriges Herz hat«. Resis Freunde hatten obendrein noch Geld in der Familie. Das sind die feinen Unterschiede. Bei Resi gibt es Ravioli, bei ihren Freunden Fischsuppe. Die einen sind in ihrer Familie eben die ersten, die studieren, »und die anderen die ersten, die keine Köchin mehr beschäftigen.«
Es geht in Stellings neuen Roman um den Preis der »sozialen Mischung«, die auf keinen Fall mit sozialer Gerechtigkeit zu verwechseln ist, schon gar nicht im Städtebau, wie in der aktuellen »Prokla« nachzulesen ist. Mit dem Ziel, in Stadtvierteln eine »Soziale Mischung« zu erreichen, wird »Aufwertung und Verdrängung« legitimiert, schreiben Lisa Vollmer und Justin Kadi in der »Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft«. Stadtplaner haben lieber kleinteilige Bauformen als große Sozialblocks. Das heißt dann »behutsame Stadterneuerung«. Der Begriff dominierte die Internationale Bauaustellung 1987 in Westberlin. Für Barbara Schönig wurde damit die Wende zur »neo-liberalen unternehmerischen Stadt« eingeläutet, an der heute sehr viele Menschen leiden.
Zugegeben, es gibt Grassroots-Initiativen, die erfolgreich gegen die Verdrängung gekämpft haben. Diese Aktivisten kamen oft aus den besetzten Häusern der 80er-Jahre, aus Ostberlin oder von der Hamburger Hafenstraße, die sie in Eigenleistung vor dem Verfall bewahrten und in genossenschaftliche Träger überführen konnten, die keinen Profit machen dürfen. Doch der alte Spruch »Die Häuser denen, die drin wohnen« gilt heute vorrangig für die Besitzer frisch sanierter Eigentumswohnungen. Manche von ihnen ticken durchaus linksliberal, aber das heißt nicht viel, wie Anke Stelling 2015 in ihrem Roman »Bodentiefe Fenster« meisterlich herausgearbeitet hat. Teuflisch-lustig beschreibt sie den Bionade-Biedermeier im Prenzlauer Berg, dessen Bewohner die Hoffnung aufgegeben haben, politisch etwas erreichen zu können, weshalb sie in erster Linie nicht mehr die Verhältnisse, sondern nur noch ihre eigene Person durchdenken und durchchecken.
So ähnlich muss auch Resi über ihre Freunde geschrieben haben. Nur war Sandra, die Ich-Erzählerin in »Bodentiefe Fenster«, gleichberechtigter Teil dieses Milieus. Mit Resi verhält es sich eher wie im Kinderreim: »Alle Kinder rennen über's Eis, nur nicht Vera, die war schwerer«, sozial unflott gewissermaßen. Resis Freunde haben überwiegend die Berufe ihrer Eltern ergriffen und sind Architekten oder Ärzte geworden; aus Resi und ihrem Freund wurden zwei »brotlose Künstler« mit vier Kindern. Von den anderen werden sie ständig »Wie schafft ihr das nur?« gefragt. Sie schreibt an ihre Tochter: »Keine Ahnung, wie wir das schaffen, aber vor Kurzem fiel mir auf, dass ›Wie schafft ihr das?‹ gar keine Frage ist - auch kein Kompliment, wie ich lange Zeit geglaubt habe. Sondern eine Umschreibung dafür, dass der Fragende denkt, es sei nicht zu schaffen - und auch dumm, es überhaupt zu versuchen.«
Und so sitzt Resi auch stark eingeengt in einer Arbeitsecke in ihrer Wohnung, »hier in meiner Kammer, diesen zwei Quadratmetern neben der Berliner Altbauküche, eigentlich gebaut als Speisekammer, eigentlich der hintere Teil des Klos, mit dem sie sich das Fenster teilt.« Die Wohnung zur Untermiete ist zwar nicht teuer, aber für eine sechsköpfige Familie viel zu klein.
In der »Prokla« steht, dass in Berlin die Hälfte der Haushalte gemessen an ihrem Einkommen Anspruch auf eine Sozialwohnung hat. Nur wurden seit den Nullern kaum noch welche gebaut. Das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz wurde schon 1990 abgeschafft. Nach dem Skandal um die gewerkschaftseigene Neue Heimat galt sozialer Wohnungsbau als unsexy, hässlich und korrupt. Von den Plattenbauten, die von der DDR übrig geblieben waren, gar nicht erst zu reden. Alles sollte sich nun auf dem freien Markt beweisen. In den 90er-Jahren wurden viele kommunale Wohnungsbaugesellschaften privatisiert und zu börsennotierten »Mieterhöhungsmaschinen« umgewandelt, wie Knut Unger im Heft schreibt. David Harvey nennt das »Akkumulation durch Enteignung«.
Resi rät ihrer Tochter Bea: »Übe fleißig, die Luft anzuhalten. Dusche kalt. Trainiere deine Seele«. Resi selbst steht irgendwann spätabends vor dem Gemeinschaftshaus ihrer früheren Freunde und ruft: »Kommt raus ihr Feiglinge und fickt euch!« Doch in Wahrheit ruft sie es nicht, sie denkt es nur. Es würde auch niemand hören, denn »auf den Balkonen ist keiner, warum auch, keiner raucht mehr«. Doch einige Fenster sind » noch erleuchtet, allerdings von milden Nachttischlampen oder blau flackernden Fernsehschirmen.« Es könnte sein, dass drinnen die Bewohner Angst davor haben, sich eines Tages ihr eigenes Haus nicht mehr leisten zu können.
Anke Stelling: Schäfchen im Trockenen, Verbrecher-Verlag, 300 S., 22 €;
»Prokla« Nr. 191. Zur (neuen) Wohnungsfrage. 176 S., 15 €
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