Schwachköpfe

Christoph Ruf über reaktionäres Denken von Menschen mit einem deutschen und einem anderen Pass

In einer Folge der »Känguru-Chroniken« von Marc-Uwe Kling geraten der Ich-Erzähler und das kommunistische Känguru einmal in eine Berliner Eckkneipe, wo sie mit diebischer Freude ein paar Allgemeinplätze referieren. »Et jibt solche un sonne, und dann gibt es noch die anderen und dit sinn die Schlimmsten.« Kling, der alte Fußballverächter, lässt das eine ebenso penetrante wie schlagfertige Kneipenwirtin namens »Hertha« sagen und wer glaubt, dass die Namensgebung zufällig war, glaubt auch, dass Kling mit geschlossenen Augen durch Berlin geht. Ob Kling den Fußball verachtet, weil er in einer Stadt lebt, in der der größte Verein die Hertha ist, sei einmal dahingestellt.

Klar ist, dass das Leben viel einfacher wäre, wenn das mit den »sonne« und »solchen«, mit den Guten und Bösen, einfacher wäre. Wach-Macher ist in diesem Fall mal wieder der Fußball: Der Präsident der Makkabi-Vereine in Deutschland, Alon Meyer, hat in der vergangenen Woche den wachsenden Antisemitismus in den Amateurligen beklagt - und es nicht bei einer allgemeinen Klage belassen. Eine aggressive Judenfeindlichkeit gehe in den letzten Monaten nicht von den üblichen Verdächtigen aus, sondern von Gegenspielern mit »muslimisch-arabischem« Hintergrund, sagt er. »Die meisten der Flüchtlinge«, so Meyer, seien »in hasserfüllten, totalitären Regimen aufgewachsen, in denen Feindbilder aufgebaut werden, die sich nicht nur gegen Juden, sondern zum Beispiel auch gegen leicht bekleidete Frauen, Schwule oder Lesben richten.«

Es ist egal, ob es nun »die meisten« oder »viele« sind - doch jeder, der in den letzten Jahren nicht nur über Migranten gesprochen hat, sondern auch mit ihnen, dürfte festgestellt haben, dass Meyers Einschätzung auf mehr von ihnen zutrifft als progressiven Menschen lieb sein kann. In ein linkes Weltbild passt die Erkenntnis, dass ein dumpfes, reaktionäres bis hasserfülltes Denken nichts ist, das deutsche Spießer und Nazis für sich gepachtet hätten, zugegebenermaßen nicht besonders gut. Die Realität überfordert derzeit viele - rechts wie links.

Während die Rechten so tun, als seien alle Probleme, die sie zum Teil auch herbeihalluzinieren, erst 2015 entstanden, tun die auf der anderen Seite so, als hätte es nur positive Folgen, wenn über eine Million Menschen ins Land kommen, von denen man bei vielen nur weiß, dass ihnen der Pass abhanden gekommen ist. So zynisch und menschenverachtend es ist, wenn man meint, der reiche Teil der Erde könne den armen hemmungslos ausbeuten, habe mit Krieg, Hunger und Flucht aber nichts zu tun, so blauäugig redet zuweilen mancher aus dem Refugees-welcome-Lager. Jüdische Fußballspieler registrieren das mit zunehmender Verbitterung, und auch die ein oder andere Fußballerin fragt sich, ob sie eine Zeitreise in die Siebziger Jahre hinter sich hat, wenn sie mitbekommt, wie mancher Syrer oder Iraker über Frauen denkt, die am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, zum Beispiel, indem sie unverschleiert Fußball spielen. Nirgendwo bekommt man das alles so unmittelbar mit wie auf dem Fußballplatz, diesem Seismograph für gesellschaftliche Entwicklungen. Aus genau diesem Grund kann man sich natürlich auch nur darüber wundern, dass es Menschen gibt, die sich darüber wundern, dass Hooligans und rechte Ultras bei den Chemnitzer Demos an vorderster Front waren. Und das dortige jüdische Restaurant »Schalom« ist dieser Tage auch nicht zum ersten Mal angegriffen worden - und das garantiert nicht von Zuwanderern.

Dass Deutschland seit jeher genügend Rassisten und sonstige Schwachköpfe mit deutschem Pass beherbergt, ist allerdings kein Grund, die Augen vor den Schwachköpfen mit anderem Pass zu verschließen, oder »kulturelle Prägungen« als Entschuldigung heranzuziehen, wo es das Wort »Arschloch« doch vollkommen tut. Dass einige von ihnen bei Themen wie dem Existenzrecht Israels, der Bewertung des Holocaust und des Nationalsozialismus eine ganz ähnliche Sichtweise haben wie die Neonazis, die sie am liebsten im Meer ertrinken sähen, gehört dabei zu den absurdesten Beobachtungen. Eine Entschuldigung für Dummheit wird nicht gewährt, egal, ob sie aus den stinkenden Sümpfen des 19. Jahrhunderts oder vermeintlich moderneren Ideologien kommt.

Religion ist schon mal gar keine Entschuldigung für Dummheit. Allerhöchstens ist sie ihre Basis. Auch da bin ich ganz einer Meinung mit dem kommunistischen Känguru.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Mehr aus: Sonntagsschuss
- Anzeige -
- Anzeige -