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Seehofer riskierte Menschenleben

Lifeline-Kapitän Claus Peter Reisch über Seenotrettung im Mittelmeer und das Verfahren gegen ihn

  • Fabian Hillebrand
  • Lesedauer: 5 Min.

Herr Reisch, im Moment befinden sich keine Schiffe der zivilen Seenotrettung im Mittelmeer. Wann wird sich das ändern?
Das Problem ist, dass unser Schiff, die »Lifeline«, beschlagnahmt ist. Aus sogenannten Beweissicherungsgründen. Es geht um ein angeblich nicht gültiges Flaggenzertifikat, ich halte dieses aber nach wie vor für gültig. Mit ähnlichen Zertifikaten bin ich sechs Missionen gefahren. Aber die maltesischen Behörden halten ja nicht nur uns, die »Lifeline«, im Hafen fest, sondern blockieren auch die »Sea-Watch«, die »Seefuchs« und das überwiegend von der evangelischen Kirche finanzierte Flugzeug »Moonbird«. Für das Flugzeug gibt es keine Starterlaubnis. Wenn man nachfragt, bekommt man keine Begründung. Und genauso ist es letztlich bei uns. Man versucht, indem man mich anklagt und das Schiff beschlagnahmt, das Schiff im Hafen festzuhalten. Und das seit 80 Tagen. Wir wissen nicht, wann es wieder auslaufen kann. Daher versuchen wir nun, ein neues zu kaufen.

Gibt es schon konkrete Pläne?
Es gibt ein Schiff, das wir gerne kaufen würden. Es gibt auch eine Kaufabsichtserkältung, aber noch keinen unterschriebenen Vertrag. Der Verein kann ja kein Geld ausgeben, das er noch nicht hat. Aber das eigentlich Traurige ist, dass wir ja ein voll funktionsfähiges Schiff haben. Man müsste uns nur damit fahren lassen.

Zur Person

Claus-Peter Reisch war Kapitän auf verschiedenen Rettungsbooten. Nachdem die von Reisch geführte "Lifeline" im Juni 2018 mit 230 aus Seenot geretteten Flüchtlingen tagelang auf dem Mittelmeer ausharren musste, da Italien das Anlegen des Schiffes verweigerte, durfte es schließlich einen maltesischen Hafen anlaufen. Über das folgende Verfahren und die Zukunft der Seenotrettung sprach mit ihm für "nd" Fabian Hillebrand.

Im Moment sind Sie in Malta angeklagt. Wie läuft der Prozess?
Am 11. September sollte eigentlich ein Urteil gesprochen werden. Das war der Plan des Richters. Aber schon beim vorherigen Prozesstermin konnte die maltesische Anklagebehörde keine Belege über die Unrechtmäßigkeit der Zertifikate vorlegen. Dann ging es darum, dass man den holländischen Behörden, wo das Schiff registriert war, Fragen vorlegt. Dieser Fragenkatalog wurde dann ewig nicht abgeschickt. Und als er weggeschickt wurde, hatten die Fragen nicht die richtige Form. Da gäbe es wohl ein spezielles Formblatt, auf dem man das hätte machen müssen. Das haben sie nicht gemacht. Gerade war ich wieder in Malta und es stellte sich heraus, dass noch immer nichts passiert ist. Das heißt, die Verhandlung wurde vertagt. Es ist ein Spiel, um Zeit zu gewinnen. Wer da mit wem unter einer Decke steckt, das vermag ich nicht zu sagen.

Seit der Prozess läuft, reden Sie auf Demonstrationen, werden in Fernsehshows eingeladen, haben einen Twitter-Account eingerichtet. Was macht das mit Ihnen, auf einmal in der Öffentlichkeit zu stehen?
Dass ausgerechnet ich in der Öffentlichkeit stehe, ist natürlich ein absoluter Zufallstreffer. Ich habe diese Öffentlichkeit nicht gesucht. Es waren zum Zeitpunkt der Rettung wenige Schiffe vor Ort auf See. Ein Schiff hat sich dann auch noch zurückgezogen, sodass wir ganz alleine waren. Dabei war damit zu rechnen, dass nach Beendigung des Ramadan viele Flüchtlingsboote kommen würden. Das hat sich dann bestätigt. Wir hatten insgesamt vier Rettungen, haben über 450 Menschen aus den Schlauchbooten geholt. Aber dass ich jetzt so im Fokus stehe, ist Zufall. Als Bayer gebe ich zu, auch mal den Fehler gemacht zu haben, die CSU zu wählen. Die Partei sollte den ersten Buchstaben aus ihrem Namen streichen. Barmherzigkeit ist eine tragende Säule des Christentums. Horst Seehofer hat aber dafür gesorgt, dass wir fünf Tage länger vor Malta auf und ab fahren mussten, ndem er die Aufnahme der Geflüchteten in Deutschland verhinderte. Am letzten Tag änderte sich das Wetter rapide. Trotzdem mussten wir lange mit Malta verhandeln, bis wir in den Windschutz der Insel einlaufen konnten. Ich kann doch die Leute nicht bei zwei Meter fünfzig Seegang und 20 Knoten Wind auf dem Deck halten. Die werden nass, sind völlig überanstrengt und sterben an Unterkühlung.

Solange Malta und Italien die Häfen blockieren, droht jede Mission, so zu enden. Wann ist der Punkt, an dem Sie aufhören müssen, weil die Rettungen zu gefährlich werden?
Diesen Punkt gibt es nicht! Wir machen weiter, weil alles besser ist, als wenn Leute ertrinken. Momentan ist ja überhaupt kein Schiff vor Ort. Und es gibt Tote. Das nimmt die europäische Politik wissentlich in Kauf.

Gibt die Bewegung »Seebrücke« ihnen Mut, dass sich etwas ändert?
Das ist ein klares Zeichen gegen den Rechtsruck. Mein Gott, es sind so wenige Menschen, die da übers Meer kommen. Wenn man von 50 000 Menschen ausginge, wären das auf die die 511 Millionen Einwohner Europas gerechnet für eine Stadt wie Landsberg am Lech, wo ich herkomme, drei Geflüchtete. Selbst wenn alle 50 000 nach Deutschland kämen, wären es für meine Stadt 19 Menschen. Die Seebrücke macht darauf aufmerksam und setzt einen Kontrapunkt zur sonstigen leidigen politischen Debatte.

Was muss sich auf politische Ebene ändern?
Die Fluchtursachen müssen bekämpft werden. Wenn die Erste Welt die Dritte weiter so ausbeutet wie momentan, dann wird sich an der Migration nichts ändern. Ich sage nur: Hühnerkarkassen, Fischfang vor Senegal, Export von Kleiderspenden. Das alles sind Chiffren eines ungerechten globalen Handels. Das wissen ja eigentlich auch alle. Und das war auch schon so, als ich vor 30 Jahren quer durch Afrika gefahren bin. Ich halte auch nichts von einem neuen Einwanderungsgesetz. Wir können doch nicht den jungen Geflüchteten, die hier herumhocken, eine Ausbildung verwehren, und dann die gut ausgebildeten aus den Ländern in Afrika abziehen.

Die Europäische Kommission will die Macht der Grenzschutzbehörde Frontex ausweiten. Nach den Plänen soll auch die Mitarbeiterzahl deutlich erhöht werden. Wird die zivile Seenotrettung damit nicht überflüssig?
Nein. Die Einstellung der Rettungsmission Mare Nostrum im Oktober 2014 durch die Europäische Union hat die zivile Seenotrettung nötig gemacht. Wir haben uns nie darum gerissen, das zu machen. Frontex soll gerne retten. Die haben Schiffe, die sind dafür gut ausgerüstet. Aber wenn die nur 75 Meilen vor der afrikanischen Küste herumfahren, finden die dort kein Schlauchboot mit Menschen, die sie retten können. Da finden sie übrigens auch keine Schleuser, deren Bekämpfung sie sich ja vorgenommen haben. Ich würde gerne sehen, dass Frontex alles richtig macht und wir dann überflüssig sind. Solange das aber nicht so ist, machen wir weiter!

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