Im Wald der Klimakämpfer

Im Hambacher Forst vereinen Aktivisten den Kampf gegen Erderwärmung und für neue Formen des Zusammenlebens

  • Knut Henkel, Buir
  • Lesedauer: 7 Min.

»Oaktown« heißt das »Barrio«, in dem Noah die letzten Monate verbrachtet. Im hinteren Teil der aus acht bis zehn Baumhäusern bestehenden Siedlung, von den Besetzern des Hambacher Forsts »Barrio« (spanisch für: Stadtviertel) genannt, stand ihr kleines Baumhaus. Das hat die groß gewachsene Frau mit dem Kopftuch lange bewohnt. Es war ihr Zuhause, das sie zuletzt im Juni für eine Woche verlassen hat.

Nun ist es geräumt, kurz und klein geschlagen, damit sich hier ja niemand wieder der Buche bemächtigt, auf der sie wohnte. Vollendete Tatsachen schaffen gerade die Polizisten, denen der Industrie- und Werkschutz Mundt GmbH zur Seite steht. Der kontrolliert das Gelände rund um den Hambacher Forst, der sich im Besitz des größten deutschen Energieversorgers befindet: RWE. Der Konzern mit Sitz in Essen hat in den letzten Wochen immer wieder darauf gedrängt, die Vorbereitungen für die Rodung der letzten 200 bis 300 Hektar des einst 5500 Hektar großen Hambacher Forstes voranzutreiben; sie soll im Oktober beginnen.

Die als Müllentsorgung deklarierte Aufräumaktion am Waldboden vom 6. September war der Auftakt, berichtet Noah. »Da wurde unsere Infrastruktur, von der Komposttoilette über die Küche bis zum Zelt, vernichtet - fast alles ging in den Schredder von RWE«, ärgert sich die Aktivistin, die im Presseteam der Baumbesetzer mitarbeitet. Jeden Tag vor dem Beginn der Räumung der Baumhäuser am vergangenen Donnerstag ist sie mit Journalisten, Besuchern und Sympathisanten durch den Wald gestreift. Sie führte Besucher zur Rodungskante am Ende des Waldes, von wo es nur noch einen Steinwurf bis zur riesigen, 85 Quadratkilometer großen Hambacher Braunkohlegrube ist. Informieren, aufrütteln will Noah, denn sie weiß genau, dass die rund 200 Besetzer im Forst keine Chance haben gegen die Übermacht von Polizei und Werkschutz. »Aber wir können es schaffen, dem Ausstieg aus der Kohleverstromung einen Schub zu geben, unsere Kritik an RWE in die Öffentlichkeit zu tragen und für eine andere, bewusstere Lebensweise zu werben«, ist sie sich sicher.

Die haben die Aktivisten im Wald in den vergangenen sechs Jahren vorgelebt und dabei viel dazugelernt. Bedürfnisorientiert geht es zu. Das Essen wird geteilt, Entscheidungen werden im Konsens statt per Mehrheitsbeschluss getroffen und es wird voneinander gelernt. Bennie, ebenfalls aus dem Presseteam der »Aufbäumer« aus dem Hambacher Forst, hat durch eine Baumhausnachbarin ihr Italienisch aufgestockt, von einem anderen einiges über Permakultur, ein nachhaltiges Agrarkonzept, verklickert bekommen. »Wir haben gelernt, Konflikte zu schlichten, wie wir uns ohne Hierarchien strukturieren und den Wald gemeinsam verteidigen können. Der hat durch uns Symbolcharakter bekommen«, so die junge Frau mit der rauen Stimme und den optimistisch leuchtenden Augen. Auch sie hatte ihr Baumhaus nahe »Oaktown« stehen, der Hauptstadt im Hambacher Forst. Dort befand sich der Tower mit dem Besucherzentrum, wo Gäste unterkommen konnten und wo die Gemeinschaftsküche in dem dreistöckigen, geräumigen Baumhaus untergebracht war. Auch der ist am Wochenende von der Polizei und den Mitarbeitern des RWE-Werkschutzes beseitigt worden.

Der Rückbau der Baumhäuser in den insgesamt zehn »Barrios«, auf den sich die Baumbesetzer auf ihren Treffen verständigt hatten, falls RWE doch noch einlenken sollte, ist damit vom Tisch. »Alle unsere Konstruktionen sind nur mit Seilen fixiert, Schrauben und Nägel waren bei uns verpönt«, erklärt Noah, die in den Wald gekommen ist, um gegen die menschengemachte Erderwärmung zu protestieren. »Ich nutze meine privilegierte Position, um mich für die Menschen zu engagieren, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind, aber sich nicht wehren können«, sagt sie. Menschen in Ländern wie Mali, Niger, Peru, Bolivien oder Honduras, wo Dürre, Unwetter oder die Gletscherschmelze die Lebensbedingungen verschlechtern. Dafür sei ein Konzern wie RWE, Europas größter Emittent von Treibhausgasen, mitverantwortlich und genau deshalb habe der Hambacher Forst Symbolcharakter.

Dass sehen nicht nur die Klimaaktivisten im Wald so, sondern auch viele Leute in der näheren Umgebung. Bauern, die die »Barrios« mit Nahrungsmitteln versorgen. Bürgerinitiativen wie »Buirer für Buir« die Pressekonferenzen mit den Baumhäuslern organisieren, oder Kurt Claßen. Dem pensionierten Steuerberater gehört die Wiese vor dem Wald. Dort ist ein Camp als erster Anlaufpunkt für die Unterstützer der Protestler im Wald entstanden, und Claßen weigert sich bisher beharrlich, die Wiese zu verkaufen. 32 Milliarden Euro verlangt er, 12 500 Euro hat RWE geboten, und die Enteignungsanträge laufen. Doch da Claßen einen Gegenvorschlag gemacht hat, ist das juristisch nicht so einfach. Und ohne die Wiese kann RWE zwar roden, aber schwerlich auskohlen, wie im Fachjargon das Abbaggern der Braunkohle genannt wird.

Claßen hat so manchen Protestbrief an die nordrhein-westfälische Landesregierung und die Staatsanwaltschaft geschrieben. Mit dem Vorgehen der Polizei, die mehrfach Razzien auf dem Wiesencamp durchführten, ist er natürlich alles andere als einverstanden. Bis zum Kartoffelschälmesser sei da so ziemlich alles mitgenommen worden, was irgendwie als Waffe Verwendung finden könnte. »Selbst Pinsel, die Rahmen einer Leinwand, Terpentin und Ölfarben wurden beschlagnahmt, als uns ein Maler vor zwei Wochen besuchte, um Porträts von Baumhäusern, Stieleichen und Hainbuchen zu malen«, schildert Noah das Vorgehen der Beamten. Erst als ein Vorgesetzter die Kollegen zur Ordnung rief, endete die Kriminalisierung der Unterstützter.

Alltag rund um den Hambacher Forst, der seit Ende August zum Gefahrengebiet erklärt wurde, weshalb nun jede und jeder kontrolliert und durchsucht werden kann. Offiziell wird das damit begründet, dass Beamten mit Steinschleudern angegriffen, mit Steinen beworfen wurden, dass auch Molotowcocktails und Sprengsätze im Wald gebastelt werden. Für Antje Grothus von der Bürgerinitiative »Buirer für Buir« nur ein Teil der Wahrheit: »Hier werden Bilder von Messern präsentiert, die von 2012 sind, und auch die Meldung über die Untertunnelung des Waldes basiert auf alten Fotos. Das ist Stimmungsmache durch das Innenministerium und die Polizei«, kritisiert die Umweltschützerin, die sich seit zwölf Jahren für den Wald vor ihrer Haustür einsetzt. Ohne die Waldbesetzer wäre der Hambacher Forst schon lange weg, meint die Ernährungswissenschaftlerin. Bei ihr zu hause in Buir, dem westlichsten Stadtteil von Kerpen, können einige der Aktivisten aus dem Forst schon mal zum Duschen und Wäschewaschen vorbeikommen.

Zuletzt war das für Noah und Bennie nicht mehr drin. »Jeden Morgen kursierten in den letzten drei Wochen Gerüchte, dass es zur Räumung kommen könnte. Da bin ich lieber oben im Baum geblieben, zumal nachts oft die Helikopter kamen«, so Bennie. Mit Suchscheinwerfern und Wärmebildkameras wurde der Wald abgescannt. Mehrfach waren Polizeifahrzeuge mit Lautsprechern am Waldrand unterwegs, die mit dem Lärm von Kettensägen, dem Walkürenritt von Richard Wagner und mit der Melodie der Fernsehserie »Flipper« für Psychoterror sorgten. Das belegen Handyaufzeichnungen der Baumaktivisten.

Zum Vorspiel der Räumung gehörte auch das Verfahren gegen die australische Baumaktivistin Samantha, die zu neun Monaten Haft verurteilt wurde, weil sie getrommelt hatte. Der Richter wertete dies als psychologische Unterstützung für Gewalttäter und wies ausdrücklich darauf hin, dass sein Urteil präventive Wirkung haben solle. Mit dem Rechtsstaat nicht so ganz zu vereinbaren, meint Noah, die Gewalt für sich persönlich ausschließt. »Jeder ist hier für sich selbst verantwortlich, muss entscheiden, wie sie oder er aktiv wird. Ich habe aber kein Problem damit, wenn mit Drähten versehene Wasserkanister in den Barrikaden verbaut werden.«

Das hält die Räumungstrupps in Uniform und jene in den gelben Westen vom Werkschutz Mundt zumindest etwas auf. Für die Aktivisten zählt jede Stunde, die die Räumung länger dauert. Nicht nur um den Wald zu schützen, sondern auch, um Druck durch die nationale und internationale Berichterstattung aufzubauen. Dieses Konzept trägt Früchte, wie ein Artikel aus der »New York Times« zeigt. In dem wurde auf die etwas andere Realität im Land der Energiewende hingewiesen.

An dieser Realität wollen die Klimaaktivisten aus dem Hambacher Forst unbedingt etwas ändern. Und für Noah ist klar, dass sie weitermachen wird, wenn es eine Chance gibt, hierher zurückzukommen - in ihr selbst gewähltes Domizil in das Waldstück vor der großen Hambacher Grube.

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