Erstechen, erschlagen, vergiften

Deutsches Nationaltheater Weimar: Shakespeares »Macbeth« in der Übertragung von Heiner Müller

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 5 Min.

Der »Macbeth« im shakespearefernen Weimar ist zwiespältig. Christian Weise führte Tragödie als Farce auf. Farce ist nicht gleich bös-komisch. Farce muss radikal sein, abrechnen mit Zeit und niedergehenden Verhältnissen. Und das passiert in Weimar nicht. Heute kann man alles machen. Und warum jetzt »Macbeth«? Schließlich zählt das Stück zu den meist gespielten hierzulande.

Hysterisch und fett gepolstert kam die »Macbeth«-Übersetzung von Heiner Müller auf die DNT-Bühne. Als Zirkus-Show. Ein Affront gegen den Dichter. Mit Corinna Harfouch als Macbeth wie als Lady trat eine der großen Schauspielerinnen unserer Zeit vors Publikum, leider als solche kaum kenntlich. Die äußere Hülle und was die Regie der Rolle vorgab, konterkarierte eher, was sie kann. Ihre Lady in Weises »Macbeth« verliert die Kontrolle. Ihr Mann heult wie ein Schlosshund, bevor er den Mord an Duncan begeht. Auf dem Scheißhaus prügelt sie auf ihn ein und fordert ihn auf, mit dem König endlich Schluss zu machen. So geht das weiter.

Immerhin: Auf das Bühnenbild hat Julia Oschatz sichtlich große Mühe verwendet. Es gibt ein Oben und Unten und keinen Thron. Oben Gebilde aus Abfällen aristokratischen Daseins, unten Elemente von Kleinstadtkultur. Keine kalten Mauern oder opulente Hallen, wie bei Verdi-»Macbeth«-Aufführungen, öffnen sich dem Auge, dagegen bemaltes Interieur wie aus dem surrealen Bilderbuch. Fürstliches markiert die Bühne in schrägen Strichen und kunstvoll bemalten Böden. Schränke, Bank, Stuhl, Tisch, Türen, sämtliches Utensil unterhalb markieren deutsch-thüringische Stube und Küche.

Dass unten auch Öfen nach Art der von Buchenwald glühen würden, erschließt sich nicht. Ins Auge sticht hingegen die Halterung der Messer. »Macbeth« ohne Messer wäre wie der Fritz-Lang-Film »M« ohne den Mörder. An Goethes »Faust« erinnert die Schädeltrophäe mit Haar und Bart. Klassik, kenntlich in Punkten und jäh verschobenen Perspektiven. Mit all dem, was quer hängt und steht, gähnen zugleich das Gewölbe und das Grab. Die Bruchbude beherbergt in Momenten auch den Typ des Magiers, der die Blausäuretinktur unter Blitz und Donner durchs finstere Gewölbe trägt und dem nächsten Opfer verabreicht, während die Bläser okkulte Totenmusik anstimmen. Ohnehin geht hier nichts edel zu, nicht mal zum Schein. Ob Macbeth, die Lady, Duncan oder Macduff, mit ihnen gehen die Tollpatsche und Ottoschleicher (nach Otto Walkes) um.

Problematisch die Kostüme (Lane Schäfer). Der Mensch als fettes Stofftier, unverdeckt die Schamteile, am Leib je nach Rolle Schottenrock, Rüsche, Seidenkleid, Schürze von Mutti, auf dem Schädel Perücke und Pappkrone. In Weimar tappen die »Macbeth«-Helden als aufgeplusterte Puppen hin und her, nach Art der Teletubbies - nur ohne Antenne - und der Michelinmännchen, grau gefleckt. Solche Ausstopfung ist jetzt Mode. Es kann nicht tumb genug zugehen. Macbeth, die Last des Königreichs auf aufgepumpten Schultern, als Halbidiot mit hängendem Pimmel quäkt in den Saal. Die Lady und er kloppen sich wie verrückt um die Titelrolle.

Die Harfouch und Susanne Wolf, dünn die eine, die andere dick, was überhaupt nicht auffällt, denn das Maß der Kostüme ist das gleiche, spielen alternierend beide Rollen, was nicht immer klar wird. Bemerkenswert: Bei der Harfouch wird Macbeth immer mehr Weib, die Lady immer mehr Mann. Erhitzt sich sein Blut, so bringt sie es zum Sieden: »Blut säuft Blut« (Heiner Müller). Licht flimmert beängstigend, da greift die Lady - wer spielt sie eben gerade? - zum Küchendolch.

Auf den Lippen führt das Paar, wie der dick-schnaufende personelle Rest, Verse, die aufhorchen ließen, würden sie nur halbwegs deutlich auf die Zuschauer kommen. Wie Shakespeare stellte Heiner Müller seinen »Macbeth« in die ihn umgebende Welt, und die ist nicht wesentlich anders als die heutige. Christian Weises »Farce« indes vernichtet Text, indem er die Darsteller zwingt, die darin liegende Klarheit und attackierende Kraft wider die Raubtiere der Jetztwelt-Beherrscher in den Wind zu schießen. Wichtige Gehalte bleiben auf der Strecke. Stattdessen billige Aktualisierung. Plötzlich zerrt die Harfouch Regionalgeschichte herbei. Die Weimaraner hätten 1930 zu 40 Prozent NSDAP gewählt, und mit dem KZ in Buchenwald sei einiges aus dem Ruder gelaufen. Völlig überflüssig.

Der Trommelstock gibt den Takt vor, wenn Lady und Gatte aufeinander losgehen und sich hauen und begeifern. Höhepunkt: Sie reißen sich ihre Genitalien aus und feuern sie zu Boden, um sie sich sogleich wieder anzuheften. Welch Einfall.

Die Musik ist noch das Beste von alledem. Jens Dohle und Steffen Illner schufen sie. Beide spielen auch selbst, der eine auf dem Bühnenpiano, der andere am Schlagzeug. Ein Bläserquintett der Staatskapelle Weimar mit Kontrabassist, alle im Gewand von Totengerippen, betätigt sich von Fall zu Fall auf der Bühne und setzt Akzente und Ruhepunkte.

Dass Macbeth und seine Lady von wilden Trieben wider alle Menschheit beherrscht sind, als wären sie jenseits dieser heraufgekommen, verfällt rasch dem Verschleiß in der bunten Manege der Clowns in Wattekleidern. Lustig ist Blut- und Mordlust nicht. Zur Farce gehören Farcentexte. Der von Shakespeare/Müller ist keiner. Erstechen, erschlagen, vergiften, verbrennen, alles an Mordstechniken, von dickverpackten Zwergen der Seele angewandt, ist in Weimar erlaubt. Wenigstens kommt heraus: Die hegemoniale Lady kanalisiert ihren Gatten, weckt die Machtlust in ihm, hält sie aufrecht, lässt sie blutig schießen.

Kein’ gute Tat in arger Welt. Die beste Szene ist noch, so abstoßend sie erscheint, die Szene auf dem Klo. Wie der Wolf den Mond, beheult Macbeth seine Untat, die, noch nicht verübt, ihn quält. An diesem Ort scheißt Macbeth sein Scheißgewissen aus. Aus dem Traum, an die Spitze zu kommen, wird seine Fantasie nie erwachen. Schon vor dem ersten Mord bricht sich der Albtraum Bahn.

Nächste Aufführungen: 28. September, 7. Oktober

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