Der Poet unter den Malern

Kunstsammlung Jena zeigt in der Ausstellung «Ich bin sicher, Rembrandt liebt mich» Malerbücher der Moderne

  • Doris Weilandt, Jena
  • Lesedauer: 3 Min.

Als Marc Chagall 1923 zum zweiten Mal nach Paris kam, war er tief enttäuscht von der russischen Revolution. In den Aufbruchsjahren hatte er die Witebsker Kunstschule gegründet und Avantgardisten wie Malewitsch und El Lissitzki als Lehrkräfte berufen können. Seine Arbeiten waren gefragt und wurden von der Regierung angekauft. Doch Anfang der 1920er Jahre setzte sich zunehmend eine staatlich verordnete Kunstauffassung durch, die ihn immer mehr aus dem Zentrum an den Rand drängte. Chagall reiste mit seiner Familie aus. In Paris fand der Künstler eine Ausdrucksform, die seiner Leidenschaft für das Erzählerische ganz und gar entsprach: das Künstlerbuch.

Auf Anregung von Ambroise Vollard, einem bedeutenden Kunsthändler der Moderne in Paris, begann er in den 1920er Jahren mit einem Zyklus zu Gogol «Die toten Seelen». Auf über 100 Blättern schildert er mit großer Experimentierfreude das Leben des russischen Landadels in alltäglichen Szenen. Humoristisch wird dessen Zurückgebliebenheit und Spießigkeit geschildert, die der Dichter in seinem Schelmenroman aufs Korn nimmt. In den Darstellungen kommt aber auch die Liebe Chagalls zu seiner Heimat zum Ausdruck, das tiefe Gefühl für die russische Seele.

Dass sich Chagall der Bibel mit einem zweiten Künstlerbuch widmet, kann nicht verwundern. Das «Buch der Bücher» liefert den Fundus für sein gesamtes künstlerisches Schaffen. Immer wieder hat er auf Erzählungen aus dem Alten Testament zurückgegriffen. «Für Chagall war die Bibel kein christliches Handbuch, sondern ein unendlicher Schatz an Poesie», erklärt Kurator Erik Stephan. «Chagall war im Heiligen Land mit dem Schiff und hat dort viele Stätten besucht, an denen die Geschichten spielen», so der Kurator weiter. Der Titel der Ausstellung «Ich bin sicher, Rembrandt liebt mich» bezieht sich auf einen autobiografischen Eintrag des Künstlers. Für die biblischen Geschichten schafft Chagall eine dramatische Lichtführung, die auf den Niederländer zurückgeht. In der Jenaer Ausstellung haben die Besucher die seltene Gelegenheit, zahlreiche Blätter beider Künstlerbücher als Rohformate an den Wänden zu sehen. Vorgestellt werden aber auch die fertigen Bände, die 1948 beziehungsweise 1956 in kleiner Auflage erschienen sind.

Doch das sind nicht die einzigen Kostbarkeiten der exquisiten Schau, die zum größten Teil aus einer privaten Sammlung stammt. «Es ist eines der schönsten Malerbücher überhaupt», schwärmt Erik Stephan beim Anblick des Buches «Cirque» von Fernand Léger, das der Künstler mit Farblithografien und einem eigenen, handgeschriebenen Text versehen hat. Da von dem Werk mit dem kostbaren Einband in der Vitrine nur eine aufgeschlagene Seite gezeigt werden kann, gibt es digital die Möglichkeit, alle Seiten umzublättern. Pablo Picasso ist mit den Büchern «Die Metamorphosen (Ovid), »Zwanzig Gedichte von Góngora«, »Das unbekannte Meisterwerk« (Balzac) und »Comte de Buffon« (Leclerc) vertreten. Georges Braque, Henri Matisse, André Derain und weitere Künstler der Moderne haben sich mit literarischen Stoffen der Antike oder ebenso moderner Zeitgenossen auseinander gesetzt und einmalige grafische Zyklen geschaffen, die eigenständig neben den Texten stehen. Auch der Architekt und Universalkünstler Le Corbusier hat ein Künstlerbuch gestaltet, das von einem Gedicht über den rechten Winkel angeregt wurde.

Die Malerbücher sind das Verdienst des Kunsthändlers Vollard. »Seine Leidenschaft für das Buch, so wie er es auffasste, war ungleich stärker als seine Liebe zu Bildern. Er wollte, dass ein Buch das Meisterwerk eines großen Malers sei«, schrieb der Dichter André Surès. Für diese Idee hat Vollard viele Künstler begeistern können. Mit ebensolcher Leidenschaft hat der Galerist Tériade seine Arbeit fortgeführt und viele Bücher ediert. Wer die Jenaer Ausstellung besucht, wird diese Begeisterung teilen.

Ausstellung »Ich bin sicher, Rembrandt liebt mich. Marc Chagall« bis zum 18. November in der Kunstsammlung Jena

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