Neue Perspektiven durchs Zurücklehnen
Wie müssten ideale Räume für die Kunst in der Zukunft aussehen? »Projecting [Space[« in Schöneweide
Die Spielzeit des HAU beginnt gleich mit einem echten Höhepunkt. Die Choreografin Meg Stuart überträgt ihr auf der stillgelegten Zeche Lohberg im Ruhrgebiet entwickeltes Tanzstück »Projecting [Space[« in eine der entkernten und mittlerweile mit Kunst bespielten Hallen im einstigen Industriegebiet Schöneweide.
Dieses interdisziplinäre Projekt - eine performative Meditation mit neun Menschenkörpern, Transport- und Soundmaschinen in der Halle neben dem Fluss - ist auch in die Art Week eingebettet. In der Halle stehen noch altertümliche Maschinen, auf einen steht »Made in Bulgaria«, andere stammen von Leipziger Maschinenbauern.
Vergangene Zeiten, weitgehend vergessene Geschichten. »Einst wurden hier Transformatoren hergestellt«, weiß Meg Stuart. Die aus New Orleans stammende, tänzerisch aber vor allem in Belgien sozialisierte und seit längerem in Berlin lebende Choreografin ist von der Vorstellung angetan, dass hier Maschinen Energie formten und wandelten. Denn ähnlich soll auch ihre Kunst verfahren. »Die Räume sind ja umgebaut. Künstler leben und arbeiten hier. Alle sind Teil einer Entwicklung«, sagt sie gegenüber dem »nd«.
Entwicklung ist dann auch das Thema von »Projecting [Space[«. »Vor Beginn des eigentlichen Choreografierens haben wir viel über die Zukunft gesprochen«, erzählt Stuart. »Wie müssten ideale Räume für die Kunst in der Zukunft aussehen? Wie wollen wir arbeiten, wie Räume formen, Beziehungen gestalten und Wahrnehmungen verändern?« Die Performer haben dann viele dialogische Sequenzen kreiert, nicht nur für einander, sondern auch mit dem Publikum.
»Es handelt sich ja nicht um einen klassischen Theaterraum, in dem die Zuschauer festgelegte Sichtachsen haben. Wir haben zwar einen Parcours geplant. Aber die Zuschauer bewegen sich im Raum, gestalten dabei selbst ihre Perspektive«, meint der Dramaturg Jeroen Peeters. Und Stuart ergänzt: »Lehnt ein Zuschauer sich etwas zurück, hat er schon eine andere Perspektive.« Dieser neue Möglichkeitsraum, die Chance, durch minimale Veränderungen Wahrnehmungsverschiebungen zu erzeugen, scheint die Choreografin zu erfreuen.
Im Unterschied zur Uraufführung des Stücks während der Ruhrtriennale 2017, als die Crew wie eine Reisegesellschaft aus der Zukunft wirkte, die mit einer Art Raumkapsel in die vom Bergbau verlassene Landschaft gekommen zu sein schien, ist die Berliner Neufassung von »Projecting [Space[« näher an die Gegenwart gerückt.
Dass die Arbeit erst jetzt, ein Jahr nach der Premiere bei der Ruhrtriennale, in Berlin aufgeführt werden kann, erklärt Stuart mit der schwierigen Raumsuche: »Es war nicht einfach, hier etwas Geeignetes zu finden. Wegen der Szenen draußen konnten wir auch nicht im Winter proben und spielen.«
Stuart spielte 1992 das erste Mal in Berlin, mit ihrem bahnbrechenden Stück »Disfigure Study«: »Es war die allererste Tanzaufführung überhaupt im Podewil«, erinnert sie sich. Danach hatte sie einige Produktionen in der Castorfschen Volksbühne. Stuart wohnt in Berlin, doch ihre Compagnie »Damaged Goods« hat ihr Produktionszentrum in Brüssel. Dass sie nicht mehr Arbeitsmöglichkeiten in Berlin bekam, ist betrüblich. Und liegt an den bekannten, schon vielfach beklagten strukturellen Defiziten für zeitgenössischen Tanz in dieser Stadt. Immerhin ist in Berlin nun ihre neue Produktion zu sehen. Sie lotst die Tanzenthusiasten und die Art Week-Besucher zum neu entstehenden Gravitationszentrum der Künste am Spreeufer im Südosten Berlins.
Nächste Vorstellungen: heute, 28.9.-30.9., 2.10., 3.10., 5.10., 7.10. 19 Uhr, Reinbeckhallen, Reinbeckstr. 17 in Berlin-Schöneweide
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