Erdogan »ist ein Politiker, der Kritik hasst«

Der türkische Journalist im Interview über den Staatsbesuch des türkischen Präsidenten, Forderungen an die Bundesregierung und sein Leben im deutschen Exil

  • Michael Fischer
  • Lesedauer: 3 Min.

Der türkische Journalist Can Dündar zählte als Chefredakteur der Zeitung »Cumhuriyet« zu den schärfsten Kritikern von Präsident Recep Tayyip Erdogan im eigenen Land. Heute lebt der 57-Jährige in Deutschland im Exil, weil ihm zu Hause die Verhaftung droht. Am Freitag gibt es vielleicht ein Wiedersehen mit Erdogan, wenn der immer mächtiger werdende Präsident zum Staatsbesuch nach Deutschland kommt.

Haben Sie eine Einladung zum Staatsbankett mit Präsident Erdogan?

Zur Person

Der 57-jährige Can Dündar ist ein türkischer Journalist, der seit mehr als zwei Jahren in Deutschland im Exil lebt. Er war Kolumnist und Chefredakteur der regierungskritischen Tageszeitung »Cumhuriyet«, bevor er festgenommen und im Mai 2016 wegen des Vorwurfs des Geheimnisverrats zu fünf Jahren und zehn Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Hintergrund war ein Artikel über Waffenlieferungen des türkischen Geheimdiensts nach Syrien.

Dündar kam auf Intervention des Verfassungsgerichts frei und konnte nach Deutschland ausreisen. Seine Frau Dilek Dündar, ebenfalls Journalistin, darf die Türkei aber nicht verlassen. Die beiden haben sich mehr als zwei Jahre nicht gesehen.

Nein, habe ich nicht.

Wären Sie hingegangen, wenn man Sie eingeladen hätte?

Ja, ich wäre sehr gerne dabei.

Warum?

Ich würde Erdogan meine Kritik gerne direkt ins Gesicht sagen. Er ist ein Politiker, der Kritik hasst. Und leider haben weder Oppositionsführer noch Parlamentarier Gelegenheit, mit ihm von Angesicht zu Angesicht zu sprechen. Das wäre jetzt eine gute Gelegenheit gewesen. Aber vielleicht gibt es trotzdem noch eine Chance. Denn noch mehr als das Bankett interessiert mich die Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Merkel. Ich werde versuchen, da zu sein und Fragen zu stellen.

Was wollen Sie Erdogan fragen?

Ich will ihn fragen, warum er sagt, dass keine Journalisten in türkischen Gefängnissen sitzen, sondern Terroristen. Ich kann ihm einige Beispiele nennen. Einige meiner Freunde und Kollegen sind im Gefängnis. Ich kann leicht beweisen, dass sie keine Terroristen sind, sondern Journalisten.

Wann hatten Sie das letzte Mal die Chance, ihm als Journalist Fragen zu stellen?

Das war 2005. Er ist nicht sehr gut in der Beantwortung kritischer Fragen. Das wird seine Geduld auf die Probe stellen.

Staatsbesuche sind sehr selten. Macht es Sie wütend, dass Erdogan diese Ehre bereitet wird?

Deutschland ehrt die Türkei, nicht Erdogan. Man sollte Erdogan und die Türkei separat betrachten. Deshalb bin ich einerseits für den Staatsbesuch und befürworte gute Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland. Aber andererseits sollte die Bundesregierung natürlich tun und sagen, was zu tun und zu sagen ist. Und das ist: Erdogan wird zum Diktator, er zerstört die Rechtsstaatlichkeit und er zerstört die Menschenrechte in der Türkei. Diese Punkte sollten direkt angesprochen werden.

Wenn Sie Angela Merkel wären und Erdogan etwas mit auf den Weg geben könnte, was wäre das?

Natürlich würde ich ihn zuerst bitten, meine Frau freizulassen (die nicht aus der Türkei ausreisen darf; Anmerkung der Redaktion), denn sie ist leider eine Geisel in den Händen Erdogans.

Sie leben jetzt schon seit einiger Zeit in Deutschland im Exil. Welchen Einfluss hat Erdogan aus Ihrer Sicht auf die türkische Gemeinschaft in Deutschland?

Erdogan hat ihnen eine Identität gegeben, die die deutsche Regierung ihnen bisher nicht gegeben hat. Er hat einem großen Teil der türkischen Gemeinde hier das Gefühl gegeben, dass sie zur größten Nation der Welt, zur Türkei gehören und nicht zu Deutschland. Das hat den gesamten Integrationsprozess erschwert. Deswegen sollte auch die deutsche Regierung zwei Mal darüber nachdenken, was schief gelaufen ist.

Am Donnerstag fällt die Entscheidung, ob die Fußball-Europameisterschaft 2024 in der Türkei oder in Deutschland stattfinden wird. Wofür sind Sie?

Ich möchte die Spiele natürlich in einer demokratischen Türkei sehen. dpa/nd

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