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Das Ende des Abnickvereins

Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus will mehr Debatten zulassen und wird dabei von rechten Kreisen unterstützt

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

In diesen Tagen haben gute Nachrichten für Angela Merkel Seltenheitswert. Zumindest einen kleinen Grund zur Freude hatte sie, als die israelische Universität Haifa am Mittwoch mitteilte, dass sie der Kanzlerin am 4. Oktober in Jerusalem die Ehrendoktorwürde verleihen werde. In diesem Zusammenhang lobte die Hochschule den Führungsstil von Merkel, der »auf den Prinzipien von Gleichheit, Freiheit und Menschenrechten« basiere.

Die Universität ignorierte geflissentlich, dass der Führungsanspruch der Kanzlerin derzeit von ihren eigenen Leuten in Berlin infrage gestellt wird. Die schlechten Umfragewerte, das Lavieren der CDU-Vorsitzenden im Fall des bisherigen Verfassungsschutzchefs Hans-Georg Maaßen und der Aufstieg der rechten Konkurrenzpartei AfD dürften letztlich den Ausschlag dafür gegeben haben, dass Merkel am Dienstagnachmittag bei den Wahlen zum Fraktionsvorstand der Union eine empfindliche Niederlage hinnehmen musste. Anstelle ihres Favoriten Volker Kauder wurde der bislang wenig bekannte Ostwestfale Ralph Brinkhaus zum neuen Fraktionsvorsitzenden gewählt.

Die Kanzlerin hatte kurz vor der Abstimmung in einer Rede vor den Bundestagsabgeordneten der Union noch einmal »von ganzem Herzen« für Kauder geworben. Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer sowie sein Parteikollege, der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, hatten sich für den Mann aus Baden-Württemberg eingesetzt, der die Unionsfraktion seit dem Jahr 2005 anführte. Doch auch die prominente Unterstützung konnte Kauder nicht helfen. Für ihn votierten nur 112 Abgeordnete. Dagegen erhielt Brinkhaus 125 Stimmen.

Viele Parlamentarier der Union sehen die Bundestagsfraktion nur noch als einen Abnickverein der schwarz-roten Regierung. Brinkhaus hatte bereits vor seiner Wahl versprochen, dies ändern zu wollen und die Haltungen der Abgeordneten gegenüber der Bundesregierung künftig offensiver darzustellen. Außerdem wird bei den Konservativen nun ein Generationswechsel vollzogen. Kauder ist 69 Jahre alt. Brinkhaus wurde vor 50 Jahren geboren.

Das Abstimmungsergebnis hatte viele überrascht. Merkel teilte am Dienstagabend den wartenden Journalisten mit, dass das Ergebnis für sie »eine Niederlage« sei. Daran sei »nichts zu beschönigen«, erklärte die Kanzlerin.

Offensichtlich wurde Brinkhaus von unterschiedlichen Gruppen in der Fraktion gewählt. So wollten rechtskonservative Kreise in der Union unter anderem wegen der Flüchtlingspolitik mit Merkel abrechnen. Allerdings ist dieser Themenbereich nicht der Schwerpunkt von Brinkhaus. Der bisherige Fraktionsvizechef ist vielmehr dem neoliberalen Wirtschaftsflügel der Union zuzuordnen. Eine »Umverteilung von Geldern in der Eurozone« lehnt er etwa ab.

Zudem kann man davon ausgehen, dass Brinkhaus auch auf viele Bundestagsabgeordnete aus seinem mitgliederstarken Landesverband Nordrhein-Westfalen zählen konnte. Dabei hatte sich der Landesvorsitzende und Ministerpräsident Armin Laschet gegen Brinkhaus ausgesprochen und Kauder unterstützt. Laschet ist einer von fünf stellvertretenden Bundesvorsitzenden der CDU und stand in den vergangenen Jahren stets eng an der Seite von Merkel. Am Mittwoch bemühte sich Laschet, die Niederlage der Kanzlerin herunterzuspielen. »Sie hat das Vertrauen der Fraktion«, sagte Laschet im ZDF-»Morgenmagazin«. Es habe nur in der Frage des Fraktionsvorsitzes einen Wunsch nach Veränderung gegeben. Weder Merkel noch ihre Vertrauten sehen einen Grund, warum die Kanzlerin im Bundestag die Vertrauensfrage stellen sollte.

Auch der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier stellte sich hinter Merkel. »Ich bin sicher, wenn sie gestern die Vertrauensfrage gestellt hätte, wäre das ein ganz dickes Ergebnis geworden«, sagte der CDU-Politiker am Mittwoch.

Deutlichere Töne waren hingegen in den Reihen des Koalitionspartners SPD zu hören. Der sozialdemokratische Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann schrieb im Kurznachrichtendienst Twitter von einem »Aufstand gegen Merkel«. Manche SPD-Politiker machen sich allerdings auch Sorgen, dass die Konflikte in der Union die gemeinsame Koalition gefährden könnten. Denn die Regierungsparteien müssten bei Neuwahlen empfindliche Niederlagen fürchten. Nach aktuellen Erhebungen kommen sie gemeinsam nur noch auf 43 bis 45 Prozent der Stimmen. Damit hätten Union und SPD ihre gemeinsame Mehrheit verloren.

Das weiß auch die stellvertretende SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig, die als Regierungschefin eine Koalition mit der CDU in Mecklenburg-Vorpommern anführt. Sie forderte Merkel dazu auf, für Stabilität in den Unionsparteien zu sorgen. »Die Große Koalition muss wieder Politik für die Menschen machen«, verlangte Schwesig im Gespräch mit dem Norddeutschen Rundfunk.

Politiker der Oppositionsparteien FDP, LINKE und Grüne vermuten, dass sich wegen des Machtwechsels an der Fraktionsspitze der Union auch ein baldiger Abschied der Kanzlerin abzeichnet. »Die Wahl ist ein Ausdruck dafür, dass das System Merkel zu Ende geht«, erklärten die Linksfraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch. »Nichtsdestotrotz gratulieren wir dem Kollegen Brinkhaus.«

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