Werbung

Staatsbankett boykottieren ist gut, reicht aber nicht

Erdogan mit vollen Ehren zu empfangen, dient vor allem der Gewöhnung an die Zustände in der Türkei, meint Nelli Tügel

  • Nelli Tügel
  • Lesedauer: 2 Min.

Wenn es etwas gibt, was ein türkischer Präsident ganz sicher nicht braucht für das leibliche Wohlergehen, dann ist es die Darbietung deutscher »Kulinarik« im Rahmen eines Staatsbanketts. Aber darum geht es am Freitag ohnehin nicht. Vielmehr soll das Bankett dazu dienen, Botschaften auszusenden. Erstens: Die deutsch-türkischen Beziehungen »normalisieren« sich - so richtig abgekühlt waren sie trotz wortreicher Ankündigungen allerdings ohnehin nie. Zweitens, noch wichtiger: Die deutsche und die dazugehörende migrantische Öffentlichkeit soll sich an das mit den Juniwahlen in der Türkei zementierte diktatorische Präsidialsystem und seine Repräsentanten gewöhnen. Die Bundesregierung hat sich nämlich darauf eingestellt, dass eben dieses Regime auch in den kommenden Jahren die Geschicke der Türkei lenken wird - nicht zufällig hat man die Wahlen abgewartet, bevor der erste Staatsbesuch Erdogans nach dem gescheiterten Putschversuch vom Juli 2016 eingefädelt wurde. Und weil der ganze Pomp, der mit dem Staatsbesuch verbunden ist, vor allem der Gewöhnung dient, sollten Linke hier nicht mitmachen und sich stattdessen zu denen gesellen, die Proteste angekündigt haben.

Darüber hinaus muss man sich jedoch keine Illusionen machen: Ein Bankett ist dann doch nur ein Bankett. Weder ist es der Ort, an dem - wie Cem Özdemir nahelegt - Irritation durch Anwesenheit erzeugt werden kann; die Tischordnung wird dies kaum zulassen. Noch ist das Bankett andersherum das eigentlich Problematische an der deutsch-türkischen Verbindung.

Pro-Staatsbankett: Europa der Türkei wieder schmackhaft machen

Kern dieser sind die wirtschaftlichen Verflechtungen, die schon ewig bestehen, sich aber in den Jahren der AKP-Herrschaft enorm vertieft haben. Hier bestehen Interessen auf beiden Seiten - seit 2016 ergänzt durch den EU-Türkei-Deal - und hierauf sollte das Augenmerk gerichtet sein. Der Boykott des Staatsbanketts ist somit zwar richtig. Er bleibt aber eine PR-Aktion, wenn er nicht Teil einer vertiefenden Kritik an den deutsch-türkischen Zuständen ist.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.