Nicht überall willkommen

7500 Demonstranten forderten Ende der wirtschaftlichen und militärischen Zusammenarbeit mit der Türkei

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Berliner Schloss Bellevue am Freitagabend. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfängt unter enormen Sicherheitsvorkehrungen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zu einem umstrittenen Staatsbankett. Nur wenige Hundert Meter von dem Spektakel entfernt steigt unter frenetischem Jubel ein gelber und grüner Luftballon in den Himmel. An Stricken angebracht: ein Bild des in der Türkei inhaftierten PKK-Mitbegründers Abdullah Öcalan. Behelmte Polizisten begutachten skeptisch die Szenerie bei der »Erdogan-not-Welcome«-Großdemonstration, halten sich aber zurück. Die rund 7500 Teilnehmer können weiterziehen. »Hoch die internationale Solidarität«- und »Erdogan ist ein Terrorist«-Sprechchöre sowie die wütenden Rufe der jesidischen Frauen hallen durch die Straßen.

Am Freitagnachmittag haben sich zuerst nur einige Tausend Demonstranten am Potsdamer Platz eingefunden. Es wehen unter anderem Fahnen der syrisch-kurdischen Miliz YPG, deutscher Linksradikaler sowie zahlreicher kurdischer und türkischer Oppositionsparteien und Verbände. Mehrere Demonstranten tragen ein Bild des Kurden Ümit A. aus Ingolstadt, der sich am Donnerstag offenbar aus Protest selbst verbrannt hatte. Der LINKE-Abgeordnete Tobias Pflüger sagt gegenüber »nd«: »Es ist unglaublich, wie sich Angela Merkel, Frank-Walter Steinmeier und auch Teile der Polizei zu Handlangern des Erdogan-Regimes gemacht haben.« Die Zusammenarbeit im wirtschaftlichen und militärischen Bereich müsse sofort beendet werden. »Die Türkei ist nicht nur völkerrechtswidrig in Syrien einmarschiert, sie führt auch Krieg gegen die eigene Bevölkerung.«

In der Menge befindet sich Lorin Kaja, eine 21-jährige alevitische Kurdin. Sie ist in Deutschland aufgewachsen, hat aber auch Familie in der Türkei. Fotos von sich will sie deswegen nicht in der Zeitung sehen, denn »dann gibt es sicher Probleme bei der Einreise«. Vor allem die aktuelle Lage von Frauen und LGBT in der Türkei beunruhigt sie. »Wenn Frauen vergewaltigt werden, sollen nach dem Willen der AKP ihre Peiniger sie danach heiraten dürfen«, sagt Lorin. »Und wenn LGBT ihre Sexualität frei ausleben, kann das in ihren Tod bedeuten.« Nicht nur, aber auch deswegen, sei sie heute auf der Demonstration gegen den Besuch des türkischen Präsidenten. »Das Problem ist nicht nur Erdogan, aber er verkörpert den brutalen Sexismus und Nationalismus in der Türkei«, so Kaja.

Die schnell anwachsende Demonstration startet kraftvoll Richtung Schöneberg, an der Spitze ein Styroporpanzer mit türkischer Flagge und der Beschriftung »Hergestellt in Deutschland«, dahinter der Frauenrat der jesidischen Gemeinden. »Keine Deals mit Erdoğan! Rüstungsexporte stoppen, Afrin verteidigen!«, steht auf ihrem Transparent. Im schwarzen Block hissen Teilnehmer für kurze Zeit eine rießige PKK-Fahne und zünden bunte Rauchtöpfe. Polizisten ziehen behelmt an den Seiten auf, greifen aber nicht ein. In der Kurfürstenstraße zeigt an einem Cafe ein Kellner den »Wolfsgruß«, das Zeichen der türkischen rechtsradikalen »Grauen Wölfe«. Die Demonstranten bleiben besonnen.

Zwischen den Teilnehmern laufen auch mehrere ehemalige Internationalisten aus Nordsyrien mit. »Ich bin heute in Berlin, weil es unsere Pflicht ist, in Europa den Kampf für eine bessere Welt und Menschenrechte fortzusetzen«, erklärt der italienische Journalist Claudio Locatelli dem »nd«. Er hat nach eigenen Angaben 2017 sieben Monate im nordsyrischen Rakka gegen den IS und für die »Revolution« in Rojava gekämpft.

Der Protestmarsch endet an der von der Polizei abgeriegelten Siegessäule mit einem Feuerwerk. Faysal Sarıyıld, ehemaliger HDP-Abgeordneter und Vertreter der »Akademiker für den Frieden«, warnt auf der Abschlusskundgebung erneut vor der Unterstützung Deutschlands für das Erdoğan-Regime. Die Zusammenarbeit würde die »türkische Diktatur« zu einem »noch brutaleren Vorgehen« ermutigen. Lukas Theune vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwaltsverein fordert die Überstellung Erdoğans an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Seine Abschiedsworte: »Ich wünsche euch die Kraft, dieses Regime zu Fall zu bringen.« Acht Personen wurden nach Polizeiangaben festgenommen.

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