Botschaft mit Panzern und Soldaten

Fast wie im Film, nur gefährlich real: Das NATO-Großmanöver »Trident Juncture 2018« an Russlands Grenze

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Norwegens Premier Jesper Berg ist auf dem Ökotripp. Er will nicht länger Erdöl und Erdgas fördern, sondern den gesamten Energiehunger Europas mit Hilfe eines gewaltigen Thoriumkraftwerks stillen. Das Vorhaben stößt bei der EU auf Ablehnung und auch die Russen sehen ihre Wirtschaftsgrundlage gestört. Brüssel und Moskau einigen sich, gegen den Ökopolitiker vorzugehen. Moskaus Spezialisten übernehmen den Weiterbetrieb der norwegischen Plattformen und kleine grüne Männchen - wie man sie von der Krim her kennt - übernehmen die Aufsicht über das ganze Land.

Es herrscht die resolute Botschafterin Moskaus. Sie stützt sich dabei auf brutale Geheimdienstknappen und gierige Oligarchen. Für die norwegische Bevölkerung ändert sich kaum etwas, denn man installiert in Oslo - wie einst die Nazis mit dem Marionettenministerpräsidenten Vidkun Quisling - eine nationale Scheinregierung. Das Erschreckende: EU und NATO verraten ihre angeblich unverhandelbaren Werte und greifen nicht ein. Die Loyalität gegenüber einem Verbündeten endet dort, wo das Geschäft gefährdet ist.

Alles Unsinn! Es handelt sich nur um einen hart an der Wirklichkeit entlang geschriebenen Politthriller, der 2015 und vor einigen Wochen erneut als »Occupied«-Serie bei ARTE lief. Die Idee stammt weder aus Moskau noch aus Brüssel. Jo Nesbø, ein weltbekannter norwegischer Krimiautor, der eigentlich Fußballer oder Musiker werden wollte, lieferte die Vorlage.

Die ist für Militärplaner der NATO gar nicht so realitätsfern. Ihr NATO-Manöver »Trident Juncture 2018« soll das größte des Bündnisses seit dem Ende des Kalten Krieges werden. Nach jüngstem Planungsstand werden an der Übung, die vor allem in Norwegen aber auch im Nordatlantik, der Ostsee, auf Island und im Luftraum über Finnland und Schweden stattfindet, mehr als 44 000 Soldaten teilnehmen. Über 10 000 militärische Fahrzeuge aller Art werden eingesetzt, dazu 130 Flugzeuge, Hubschrauber und Drohnen sowie 70 Schiffe. 29 NATO-Staaten sowie Schweden und Finnland haben ihre Teilnahme zugesagt.

Teilnehmen werden auch über 9000 deutsche Soldatinnen und Soldaten. Die Bundeswehr ist damit und mit über 4000 Fahrzeugen nach den USA der zweitgrößte Truppensteller. Deutschland hat auch inhaltlich eine besondere Rolle, denn die Bundeswehr bietet jene Brigade auf, die demnächst als NATO-Speerspitze bereitstehen soll. Diese letztlich multinational aufgefüllte Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) wird unter deutscher Führung stehen. Aktuell soll sie in einem Geländeabschnitt, der rund 230 Kilometer lang und 60 Kilometer breit ist, handeln - eine Fläche, die annähernd so groß ist wie Schleswig-Holstein .

Eigentlich hat die Großraumübung für die Bundeswehr bereits Anfang September mit dem Transport des Materials - immerhin 68 000 Tonnen mit einem Gesamtvolumen von 277 000 Kubikmetern - begonnen. Nach dem Hauptteil des Manövers, das zwischen dem 25. Oktober und dem 7. November abgehalten wird, beginnt eine computergestützte Stabsübung im Joint Warfare Centre Stavangar. Erst Ende Dezember werden die Manövertruppen dann wieder in ihren angestammten Kasernen sein.

Als sicher gilt, dass die USA einen Teil ihres Geräts in Norwegen »einmotten«, um im Falle des Falles nur noch das passende Personal einfliegen zu müssen. In kleineren binationalen Übungen hat vor allem das US-Marine-Korps bereits künftige Ausgangsstellungen erkundet. Gemeinsam mit den Stationierungsabsichten in Polen sowie der Verstärkung der US-Truppen in Deutschland um rund 1500 Soldaten zeigen die USA wieder mehr Präsenz in Europa. Was auch als Signal an Berlin und Paris verstanden werden kann, es mit der militärischen Eigenständigkeit der EU nicht zu weit zu treiben.

Warum findet »Trident Juncture 2018« im Norden Europas statt? Die offizielle Antwort der NATO lautet: Weil Oslo 2014 das Angebot unterbreitet hat und es sich in den dünn besiedelten Territorien gut üben lässt. Man wolle lediglich die Bündnisverteidigung gegenüber einem fiktiven Angreifer trainieren. Das Szenario und die Übung richten sich gegen »kein bestimmtes Land«, hört man auf Pressekonferenzen in Brüssel. Bereits im Mai hatte der Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte in Europa, Curtis Scaparrotti, das Manöver als »Botschaft« die zur Eindämmung russischer Absichten gedacht ist, bezeichnet.

Insgeheim bestätigen auch NATO-Diplomaten, es sei kein Zufall, dass die Übung in Ländern abgehalten wird, die gemeinsame Grenzen mit Russland haben. In Brüssel aber auch in Berlin verweist man zudem auf eine Reihe russischer Großmanöver und vor allem darauf, wie sich Russland 2014 die ukrainische Halbinsel Krim einverleibt hat. Polen sowie die baltischen NATO-Verbündeten fühlen sich von der Politik Moskaus bedroht und fordern Aufrüstung und mehr Abschreckung. Sie stoßen in Brüssel und Washington offene Ohren.

Ob gegenseitige Großmanöver wirklich die Sicherheit Europas vergrößern, bleibt nach den Erfahrungen des vergangenen Kalten Krieges fraglich. Eines aber ist sicher, die norwegische Regierung wird keinesfalls das Schicksal des Ökopremiers der »Occupied«-Serie erleiden, denn bis ein Thorium-Atomkraftwerk zur Serienreife entwickelt ist, werden nach Ansicht britischer Nuklearexperten noch mindestens vier Jahrzehnte vergehen.

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