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Nazi-Glocke wird entwidmet/ Neue Botschaft
Kompromiss zwischen Gemeinde und Landeskirche in Niedersachsen in der Causa Nazi-Glocke gefunden
»Aus Not und aus Nacht ist Deutschland erwacht - Dies Kreuz gab gelingen - half Zwietracht bezwingen.« Das Kreuz, auf das sich dieser Spruch auf der zweitgrößten Glocke der evangelischen Kirche im 800 Seelen kleinen, zwischen Hannover und Bremen gelegenen Dorf Schweringen bezieht, hat Haken. Nicht das Zeichen des christlichen Glaubens, sondern das Signum des Hitlerfaschismus war 1934 zur Zier der 1200 Kilo schweren sogenannten »Vaterlandsglocke« gewählt worden. Jahrzehntelang, über das Kriegsende hinaus, rief sie die Gläubigen zum Gottesdienst, und niemand scherte sich um ihre Nazisymbolik - oder wusste nichts davon. Erst im September 2017 waren das Hakenkreuz und der markige Spruch wieder entdeckt worden und hatten sogleich eine weit über die Dorfgrenzen beachtete Kontroverse ausgelöst.
Der Streit um die Zukunft der Glocke, um Läuten oder Nichtläuten, Einschmelzen und Neugießen, Abhängen und Aufstellen als Mahnmal dürfte nun zur Ruhe gekommen sein, denn: Kirchenvorstand und Landeskirchenamt in Hannover haben sich auf einen Kompromiss geeinigt. Die Glocke bekommt neue Symbole und eine neue Inschrift, die über den Nazi-Spruch gelötet wird. Dann darf die Glocke wieder ertönen, und nach Überzeugung von Experten, wird sie dies in der vertrauten Klangfülle tun.
Der Einigung war ein Hickhack vorausgegangen, der schon kurz nach der Entdeckung des NS-Emblems entbrannt war. Kurz nach dessen Sichtung fiel seitens der Kirche die Entscheidung: Diese Glocke schweigt fortan. Das aber gefiel nicht allen Gemeindemitgliedern und auch nicht der Mehrheit eines neuen Kirchenvorstands. Der beschloss: weiterläuten! Der Pastor reagierte mit Widerspruch, der übergeordnete Kirchenkreis beschloss: nicht läuten!
Um Frieden bemüht, bot sodann die Landeskirche an, eine neue, gleichwertige Glocke zu bezahlen, wenn Schweringen auf die alte verzichte. Auch gegen diesen Vorschlag murrten einige, vor allem ältere Dörfler. Sie wollten den 1934 aufgehängten Bronzeguss trotz Hakenkreuz und Nazispruch behalten.
Doch dieser Wunsch sorgte sogar im obersten evangelischen Kirchenparlament, der Landessynode, für Unbehagen. »Es ist für unsere Kirche nicht vorstellbar und darf nicht hinnehmbar sein, sich unter einer Glocke mit Hakenkreuz zu Gottesdienst und Gebet zu versammeln«, betont dort ein Ausschussvorsitzender jenes Gremiums.
Gleicher Meinung waren auch jene Unbekannte, die sich kurz vor Ostern in den Glockenturm schlichen und mit einem Trennschleifer das Hakenkreuz wegflexten. Als »Frühjahrsputz« bezeichneten jene Schleifer ihren Fräseinsatz in einem Bekennerschreiben und ließen die Schweringer wissen: Die Glocke sei nun gereinigt worden »vom Dreck der Nationalsozialisten, der nach 80 Jahren noch drohte, die Dorfbevölkerung zu spalten«.
Bis das komplette Läutwerk wieder im Turm erklingt, wird noch einige Zeit vergehen. Zunächst wird die Glocke in einem kirchlichem Ritus voraussichtlich am 21. November, dem Buß- und Bettag, förmlich »entwidmet«. Über ihre Umgestaltung und einen neuen Spruch soll sodann ein Wettbewerb entscheiden. Ziel sei es, »der Glocke eine neue Deutung zu geben, die von Toleranz und Versöhnung geprägt ist«, sagt der Geistliche Vizepräsident des Landeskirchenamtes, Arend de Vries. Ist die Glocke neu gestaltet, wird sie wieder gewidmet, aufgehängt, und darf wieder läuten - ohne ein Kreuz mit Haken.
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