»Hallo? - Brecht am Apparat …«

Brecht, Schlingensief, Paoli und »Dorfkneipe International«: Im Admiralspalast eröffnet die »Neue Liebe«

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 3 Min.

Neue Liebe im Admiralspalast - der Name weckt Assoziationen an die Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts. 1911 wurde der Admiralspalast in der Friedrichstraße als Vergnügungstempel eröffnet, mit Schlittschuhbahn, Schwimmbad, Cafés, Billardhallen und Kegelbahn. Erst später wurde er zum Revuetheater umgebaut. Diesen Dienstag eröffnet nun im dritten Stock des Admiralspalast ein Raum, der Theater, Konzerte, Ausstellungen, Diskussionen, Bibliothek und Bar verbindet - eine Vergnügungsstätte: die Neue Liebe.

Zahlreiche Umbauten wurden wurden vorgenommen, man wollte einen Ort schaffen, an dem man sich gerne aufhält, erzählt der Musiker und Dramaturg Dennis Depta. Gemeinsam mit dem Schauspieler Jonathan Kutzner hat er die künstlerische Leitung der Neuen Liebe inne. Der erste Spielplan geht zwei Monate, bis Ende November. »Das ist ein Testballon für den Neustart eines kleinen Theaters«, sagt Depta. In Berlin vermisse er eine kleine Bühne, an der junge Theatermacher experimentieren können.

Eröffnet wird die Neue Liebe um 20 Uhr mit der Inszenierung »Fatzer-apparat - Anatomie« des jungen Regisseurs Florian Hein (auch 3.10.). Inspiriert von Bertolt Brechts Fragment »Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer« wird die Gegenwart untersucht. Gilt noch der Ansatz, dass der Krieg der Völker in den Krieg der Klassen verwandelt werden soll? Auf der Bühne klingelt ein Telefon. »Hallo? - Brecht am Apparat …« Man tritt mit der Vergangenheit in Verbindung, um eine mögliche alternative Zukunft denkbar zu machen. Hein hat Regie an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« in Berlin studiert, als Diplomstück brachte er »Tage in L.« des schwulen Kommunisten Ronald M. Schernikau auf die Bühne.

Während seines Studiums hat er sich mit der Funktion des Chorischen im Theater beschäftigt, ein Mittel, das in Heins Inszenierungen immer wieder zur Anwendung kommt. So bietet er auch unter dem Titel »Fatzerapparat - Chor« (am 3.10. um 14 Uhr) einen Workshop an, in dem man gemeinsam Auszüge aus »Fatzer« liest, spricht und diskutiert.

Um Vergangenheit und Zukunft geht es auch bei »Ich würde nach vorne schauen, wenn ich wüsste, wo hinten ist«, den vier Gesprächsrunden, die Guillaume Paoli veranstalten wird. Er wurde bekannt als »Demotivationstrainer« und Verteidiger der »glücklichen Arbeitslosen«, am Leipziger Theater war er als Hausphilosoph beschäftigt. Zuletzt hatte er eine Diskussionsreihe im Roten Salon der Volksbühne. In seinen Gesprächen (9.10., 23.10., 13.11., 27.11.) wird es um Heimat, Entfremdung, Konservatismus und die Linke gehen.

Es gibt auch eine weitere Verbindung der Neuen Liebe zur Volksbühne: Die DVD-Premiere von Christoph Schlingensiefs »Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir« wird hier am 30.10. stattfinden, in Zusammenarbeit mit der Filmgalerie 451. In diesem 2008 uraufgeführten »Fluxus-Oratorium« verarbeitete Schlingensief seine Krebserkrankung.

Das Musiktheaterkollektiv Glanz & Krawall ist mit zwei Inszenierungen vertreten. Mit »Catch 3000« wird eine Wrestling-Show inszeniert, in der Heinrich von Kleist und Monteverdi aufeinandertreffen (13.10., 14.10.) . Und mit »Dorfkneipe International«(17.11., 18.11.) wird dem Kneipensterben in Berlin gedacht, eine Mischung aus absurder Trauerfeier, betreuten Trinken und Esoterikklamauk, unterlegt mit Gustav Mahlers »Mir ist die Welt abhanden gekommen«, ein Gentrifizierungsrequiem. Depta, der der Dramaturg von Glanz & Krawall ist, sieht auch einen stadtpolitischen Aspekt: Die Friedrichstraße sei heutzutage eine tote Gegend, das Revier von durchlaufenden Touristenmassen. Gerade hier einen Ort zu schaffen, der an die Tradition der Vergnügungsstätten anschließt und zugleich künstlerische und politische Impulse setzen möchte, sei ein besonderes Anliegen.

Neue Liebe im Admiralspalast, 3. Stock, Friedrichstraße 101, Mitte.

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