Das Geheimnis der Apfelmänner

Im steirischen Dorf Puch werden Äpfel in den Adelsstand erhoben.

  • Ekkehart Eichler
  • Lesedauer: 5 Min.

Fackeln flackern in der Dunkelheit. Sphärenklänge geistern durch die Nacht. Ein Rabe hockt auf dürrem Ast vor gespenstischem Mond. Dann treten Männer in mittelalterlichen Kapuzenkutten ins Licht und prozessieren feierlich vorüber - 15 an der Zahl. Angeführt vom Abellio, der seinen Namen vom keltischen Apfelgott hat. Passend dazu führen sie einen wahren König mit sich - den mit Abstand besten Apfelschnaps weit und breit.

So oder so ähnlich geht es jedes Jahr im Spätherbst zu, wenn der »geistreiche« Geheimbund den aktuellen Jahrgang des »Abakus« präsentiert. Jedes Jahr an einem anderen Ort - mal ein Schloss, mal eine Grotte, mal ein Dampfbummelzug. Jedes Jahr je nach verwendeter Apfelsorte mit etwas anderem Geschmack - mal McIntosh, mal Gala, mal Gravensteiner. Und jedes Jahr mit einem neuen Abellio als Chef, der aus den Reihen der Apfelmeister gewählt wird.

Immer wieder gleich hingegen sind Qualität und Ritual. Einmal im Jahr gehen die Apfelmänner in dem steirischen Dorf Puch in Klausur und sperren sich drei Tage lang in einem Keller ein. Dort destillieren sie unter höchster Geheimhaltung aus reifen und perfekt verarbeiteten Äpfeln ihren außergewöhnlichen Edelbrand. Um Weihnachten wird dieser dann zur Segnung in die Pucher Kirche gebracht und anschließend ins »Haus des Apfels« getragen, wo er in Glasballons mindestens ein Jahr reift.

»Ein Abakus entsteht bereits in den Köpfen der Mitglieder«, erklärt Kirchenwirt Johann Hofer, als Hotelier der einzige »Zivilist« in der Bruderschaft von Apfelbauern und Schnapsbrennern, »und er hat seinen Ursprung im Obstgarten.« Von der Blüte bis zur Ernte nämlich beobachten die Pucher Apfelmänner sorgfältig die Entwicklung der Bäume und Früchte und wählen schließlich die jeweils herausragende Sorte aus. Abgestimmt wird mit hellen und dunklen Kugeln, wie sie am Abakus zu finden sind, der uralten Rechenmaschine.

Nach strengem Reglement destillieren sie alljährlich exakt 1444 Flaschen - das sind 1000 Liter Schnaps, für die es wiederum 20 000 Kilogramm erstklassiges Obst braucht. Die Flaschenanzahl entspricht dem Jahr, in dem die Pucher Kirche gegründet wurde, und auch der Preis nahm ursprünglich darauf Bezug: Zu Vor-Euro-Zeiten kostete die Flasche 1444 Schilling, heute sind das angepasste, aber immer noch stolze 104,44 Euro.

An und in die Kirchhofsmauer haben die Apfelmänner zudem eine Kultstätte gebaut. Dort mauern sie von jedem Jahrgang fünf Flaschen ein - die müssen hier 100 Jahre reifen. Alles in allem eine Menge Brimborium um ein, wenngleich sehr exklusives, hochgeistiges Lebenselixier. Ganz so einfach sei das nicht, meint Hofer. Zum einen seien die Apfelmänner für eine reine Shownummer viel zu ernsthaft bei der Sache. Zweitens sei die Arbeit am Abakus tatsächlich extrem zeitaufwendig und intensiv. Und dann müsse jeder die zwölf Bruderschaftsregeln strikt befolgen, die auch den Umgang mit der Natur festschreiben: »Die Apfelmänner müssen zum Beispiel einmal im Jahr pflügen - nicht mit dem Traktor, sondern mit Rössern vor dem Pflug -, um sich ihren Respekt vor der einst mühsamen Arbeit des Bauern zu bewahren.«

Für eine Reise nach Puch gibt es einige gute Gründe, der mit Abstand wichtigste aber hat mit jenem göttlichen Vitaminspender zu tun, der bekanntermaßen schon in der Bibel zu unsterblichem Ruhm gelangte - als allzu süße Frucht der Verführung zur Sünde. Im Puch hingegen ist der Apfel ein Glücksbringer und Seligmacher, und das schon seit den Zeiten der Kelten. Apfelbäume und Apfelplantagen bedecken die sanften Hügel soweit das Auge reicht - kilometerweit nichts als Äpfel, Äpfel und nochmals Äpfel. Kein Wunder also, dass sich eine der schönsten Themenstraßen Österreichs durch dieses Paradies windet - die 25 Kilometer lange Steirische Apfelstraße. Mit Puch als Zentrum.

Zweimal im Jahr brennt hier richtig die Luft. Im Frühjahr, wenn am Apfelhimmel Milliarden von zartrosa-weißen Blüten Zauber und Duft verströmen. Und im Herbst, wenn die Bäume voll reifer Früchte hängen - dann ist Hochzeit für Feste und Umzüge, herrscht Hochstimmung bei Apfelbauern und ihren Gästen. Für alle, die sich mal richtig schlau machen wollen über Anbau, Verarbeitung, Vermarktung, Ernte, Pflanzenschutz oder Hagelabwehr, aber auch über die Rolle des Apfels in Kunst, Mythologie, Religion und Brauchtum, sei das »Haus des Apfels« empfohlen. Inklusive großem Obstgarten mit vielen alten Sorten, Schaubienenstock und Abakuskeller im Presshaus.

Für alles, was man aus Äpfeln zaubern kann, finden Leckermäuler in und um Puch eine schier unerschöpfliche Schatzkammer: Apfelwein, Apfelsekt, Apfellikör, Apfelschnaps, Apfelessig, Apfelsaft, Apfelmost, Apfelkuchen, Apfeltorten, Apfelmarmelade - all das und viele andere Apfelspezialitäten gibt es in Buschen- und Mostschenken, in Gasthöfen und Bauernläden und natürlich auch direkt beim Erzeuger in erlesener Güte und Vielfalt.

Zum Beispiel in der Manufaktur von Tino und Jaqueline Pölzer. Sie verarbeiten regionaltypische Äpfel von Streuobstwiesen zu erstklassigem Essig - 22 Bio-Sorten insgesamt, die bis auf die Apfel-Honig-Varianten alle vegan sind und hochgeschätzt bei Kundschaft aus aller Welt. Ähnlich exotisch und hochwertig geht es zu in Franz Piebers Familienbetrieb. Der Brennfachmann und Abakus-Bruder stellt 35 Sorten an Edelbränden und Edellikören her, die immer wieder ausgezeichnet werden.

Wer übrigens nach viel zu viel süffigem Apfelschnaps frühmorgens riesige Äpfel über der Kirche schweben sieht, hat keine Halluzinationen. Auch ganz nüchtern kommt so etwas ziemlich häufig vor, Puch ist nämlich auch ein Mekka für Heißluftballonpiloten. Das manche Luftschiffe allerdings kugelrund und knallrot sind mit einem Stiel obendrauf, das hat man hier ganz exklusiv.

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