Der Mann, der alle Winkel ausfüllt

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat noch keine Autobiografie geschrieben. Trotzdem gibt es jetzt eine.

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 6 Min.

Wer ist eigentlich Markus Söder (CSU), der Mann, der gegenwärtig die Macht in einem obskuren, offiziell noch immer zu Deutschland gehörenden Kleinstaat innehat? Wer ist der Mann, der manchmal grundlos im Fernsehen sitzt und unverständliche Lautfolgen von sich gibt? Der Politiker, der wirkt, als sei er einem David-Lynch-Film entstiegen und der sich bevorzugt mit angstvoll blickenden Hundewelpen auf dem Arm fotografieren lässt? Der Mann, der seit Frühjahr dieses Jahres Bayern regiert, dieses kleine, noch immer wenig zivilisierte Land inmitten Europas, und der sich morgen, am Sonntag, als Anführer des dort lebenden Volksstammes bestätigen lassen will? Zugegeben: Wir wissen bisher kaum etwas über ihn. Um ehrlich zu sein: Wir wissen nichts.

Lange, zu lange musste die Weltöffentlichkeit warten auf zuverlässige Informationen über diesen fragwürdigen Menschen. Doch nun endlich erfahren wir all das, was wir schon immer vom und über den Södermarkus wissen wollten: seine politischen Visionen, seine katholischen Wertvorstellungen, seine ausgeklügelten Masturbationstechniken. Denn jetzt ist ein Buch erschienen, das uns aufklärt, ein Buch, in dem Söder freimütig sein Leben erzählt und selbst intimste Geheimnisse bekennt: seine Autobiografie. Bereits ihr Titel enthält einen versteckten Hinweis auf die sagenhafte Bescheidenheit und Demut des CSU-Politikers: »Gottes Werk und mein Beitrag«.

Das Buch enthält die ganze Wahrheit über den extrem beliebten (aktuelle Wahlumfragen: 32 Prozent) wirrköpfigen Mann. Und das Beste ist: Es ist vor Drucklegung ins Hochdeutsche übersetzt worden, man kann es also verstehen.

Schnell wird bei der Lektüre klar: So ein Ministerpräsident hat unter einer außergewöhnlichen Arbeitsbelastung zu leiden. Ein Arbeitsessen jagt da das andere, und zwischendurch will auch noch der Weißwurst- bzw. Weißbieranstich erledigt sein, da kommt man logischerweise kaum zur Ruhe. Schon der junge Söder, wie wir von ihm selbst erfahren, ist sehr umtriebig gewesen und hat sofort jeden zufällig vor ihm auftauchenden Stammtisch agitiert, da konnte früher oder später auch der Kontakt zum anderen Geschlecht bzw. zu umhermarschierenden Frauen nicht ausbleiben: »Da gab es beispielsweise unter vielen anderen auch eine Tanja, aus Sachsen, die immer zügig mitmarschiert ist in die Bierzelte. Sie war stets zur Stelle, wenn es galt, meine Visitenkarten zu halten oder den Leuten Söder-Fähnchen zu reichen. Also das zu leisten, was für eine moderne Beziehung so lebenswichtig ist. Dafür gebührt ihr noch heute meine Hochachtung.« Söder, so kann man diesen Zeilen entnehmen, kannte sich also schon als junger Polit-Stecher gut aus mit moderner Reklame, modernem Bescheidwissen und modernen Geschlechterrollen; da dürfte ihm kaum irgendwer etwas vorgemacht haben in der Partei. In der CSU - wie könnte es auch anders sein? - macht der junge, noch fast unschuldige Söder also rasch eine steile Karriere. Sein großes Vorbild wird der als »blondes Fallbeil« zu Ruhm gekommene CSU-Clanführer Edmund Stoiber, den er »bei einem Umtrunk der Banater Schwaben im Rahmen des sommerlichen Schweinekrustenwettessens des Vereins Katholische Hochseetouristik Rotthalmünster« persönlich kennenlernt und eine Zeit lang abgöttisch verehrt. Über die stahlblonde Führerfigur weiß er in seiner Autobiografie nur Gutes zu schreiben: »Stoiber war die Maggie Thatcher mit bayerischem Antlitz. Er ließ die Staatswälder niederbrennen und verkaufte landeseigene Koltanminen an saudische Investoren. Er zerschlug die gymnasiale Oberstufe zu winzigen Krumen und spülte sie mit den Beneš-Dekreten herunter. Er löste den imperialen Senat auf und ersetzte ihn durch Lokalgouverneure, die allein dem Todesstern, Quatsch, der Staatskanzlei unterstanden. So hat er Bayern fit gemacht für das nächste Jahrtausend.«

Vom Stoiberedmund also hat der Södermarkus viel Wichtiges gelernt bzw. übernommen: etwa das entschlossene Handeln zur rechten Zeit, das feine Gespür für das richtige Maß bei der schonungslosen Bestrafung der Bevölkerung, einen bombensicheren Instinkt für Diridari und eine ruhige Hand bei der rückstandslosen Entfernung des noch verbliebenen Demokratiequatsches. Viel Widerstand erfährt Söder logischerweise wegen seiner hingebungsvollen Liebe zum Volk. Vor allem SPD, Journalisten und andere Kommunisten werfen ihm immer wieder Knüppel zwischen die Beine, verleumden den Söderbub nach Strich und Faden. Doch Söder, junger aufstrebender Bazi, der er mit Ende zwanzig ist, wird dennoch in den bayerischen Landtag gewählt, wo man ihm sofort große Verantwortung überträgt: »Sehr schnell fand man auch Aufgaben für mich: Im Petitionsausschuss, im Ausschuss für Stickereien und Intarsienarbeiten und beim Kinderschminken konnte ich meine Talente nutzbar machen - zum Wohle der Partei, zum Wohle Bayerns.«

Schnell ist die Highspeed-Karriererakete Söder nicht mehr zu bremsen. Die Parteioberen macht er rasch auf sich aufmerksam, indem er wichtige Forderungen stellt, die für eine volksnahe, urkonservative und dabei doch innovative Partei wie die CSU eigentlich auf der Hand hätten liegen sollen: »Neben vielem anderen forderte ich ein Weihwasserbecken in jedem Neuwagen und Kindergeldkürzungen für Deutsche, die im Ausland Englisch sprechen« sowie das »Absingen der Nationalhymne vor dem Betreten jeder Minigolfanlage«.

Söders beispiellose Gewinnerlaufbahn setzt sich also fort: Er verkehrt jetzt mit den ganz Großen, mit Beckstein, Seehofer, Huber, Strauß (†), dem Dimpflmoser, dem Loiblsepp und dem Gschwendtnerschorsch und wie sie alle heißen, geht praktisch jederzeit mit einem geöffneten Glas Champagner, offenem Ohr und offenem Hosenstall bei den CSU-Bossen ein und aus, wie’s ihm gerade passt. Nebenher perfektioniert der ganz und gar uneitle Politprofi seine über viele Jahre immer mehr verfeinerte politische Philosophie: »Ich konnte in jedem Amt reüssieren, in jeder Rolle. Ich machte es einfach wie mein Vorbild, der Dämmschaum aus dem Baumarkt: egal wo man ist, sich einfach so lange aufblähen, bis man alle Winkel ausfüllt.«

Söder erzählt in diesem Buch aufrichtig, ehrlich, ohne jede Verstellung, etwa von seiner innigen Freundschaft mit Horst Seehofer (»wie die Natter, die man an seinem Busen nährt, um sie im Zweifel umso schneller erwürgen zu können«), von der befremdlichen Schönheit der Hauptstadt Berlin (»überall Lichter, teilweise noch mitten in der Nacht«) sowie von seiner hingebungsvollen Liebe zur Heimat (»Nürnberg, wo die WLAN-Router noch aus Holz sind«) und zur Umwelt (»Autobahnen sind der Regenwald Bayerns«). Selten gelang es einem Politiker so perfekt wie hier, Leserinnen und Lesern einen so präzisen Einblick in das erfüllte, ja, pralle Dasein eines erfolgreichen Volkstribuns zu verschaffen.

Das Beste jedoch an der hier vorliegenden Autobiografie ist: Söder hat sie selbstverständlich nicht selbst verfasst, dafür hat der viel beschäftigte Tausendsassa, Hardcore-Flirtaholic und fesche Vollzeitbeau ja gar keine Zeit. Tatsächlich kann die Entstehungsgeschichte dieses Buches als bisher einzigartig in der Geschichte des autobiografischen Schreibens gelten: Mittels einer nicht unkomplizierten, von ihm selbst entwickelten Methode gelang es nd-Kolumnist Leo Fischer, sich über Jahre hinweg intensiv in den bayerischen Ministerpräsidenten einzufühlen und nach und nach eine hundertprozentige Symbiose mit dem Kopfinhalt Söders einzugehen. So war es Fischer möglich, auch kleinste Details aus Söders bisherigem Leben ans Licht zu bringen. Leo Fischer selbst erklärt auf nd-Anfrage seine erstaunliche Technik wie folgt: »Söder und ich sind beide Aufsteiger aus der bayerischen Provinz, ohne jegliche Skrupel. Hier besteht eine tiefe Wesensverwandtschaft, ja -identität, die es nur mehr in Worte zu fassen galt.«

Ein Buch, wie es nur einmal im Jahrhundert eines gibt.

Leo Fischer (ohne Markus Söder): »Gottes Werk und mein Beitrag. Die komplett erfundene Autobiografie«. Riva-Verlag, geb., 122 S., 14,99 €.

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