Der Ätna gleitet langsam ins Mittelmeer
Forscher befürchten eine Beschleunigung des Prozesses. Ein Erdrutsch könnte einen Tsunami auslösen
Stolze 3300 Meter über den Meeresspiegel ragt der Gipfel des Ätna im Südosten Siziliens empor. Er ist der höchste und mit vier Haupt- und mehr als 300 Nebenkratern einer der aktivsten Vulkane Europas. Seit Beginn der Aufzeichnungen mit GPS Mitte der 1980er Jahre beobachten Wissenschaftler, wie sich sein Südosthang jährlich um knapp vier Zentimeter Richtung Meer verschiebt. Wie es unterhalb der Wasseroberfläche aussieht, war aber bisher unbekannt, denn dort funktioniert das satellitenbasierte Navigationssystem nicht.
Ein deutsch-italienisches Forscherteam konnte nun nachweisen, dass sich die Dynamik unter Wasser in der selben Größenordnung fortsetzt. Sie platzierten am betroffenen Hang in 1200 Metern Wassertiefe fünf Messstationen an, oberhalb und unterhalb der sogenannten Verwerfungszone, die den instabilen vom stabileren Teil des Vulkans trennt. Die Geräte waren mit sogenannten Transpondern ausgestattet und sendeten sich alle 90 Minuten ein akustisches Signal zu. Über die Dauer der Übermittlung der Signale ließ sich die relative Bewegung des Meeresbodens auf den Zentimeter genau bestimmen. »Der komplette Südosthang hat seine Position verändert«, berichtete Morelia Urlaub, Geowissenschaftlerin am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel und federführende Autorin einer Studie, die vergangenen Mittwoch in der Fachzeitschrift »Science Advances« erschienen ist. Das zeige, dass hauptsächlich die Schwerkraft für den allmählichen Hangrutsch verantwortlich ist, und nicht, wie bislang vermutet, das aufsteigende Magma. Anderenfalls müsste sich der Hang stärker oberhalb als unterhalb der Wasseroberfläche bewegen.
Das Absinken erkläre sich aus der physischen Beschaffenheit des Ätna: »So ein Vulkan ist unglaublich groß und schwer«, erklärte Urlaub. »In geologischen Maßstäben gesehen wächst er extrem schnell, er produziert Lava und ändert damit seine Form. Da er so schwer ist, muss er sich an seinen Füßen spreizen.« Dabei ist dem Ätna die Richtung vorgegeben: Nach Norden und Westen hin befinden sich Landmassen, während er sich Richtung Meer ungestört ausbreiten kann. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Vulkan auf einer etwas nach Südosten geneigten Tonschicht steht, die ein Absenken noch begünstigt. Solange sich der Hang so langsam wie derzeit bewegt, ist das kein Problem. Doch sollte die Südostflanke richtig in Fahrt kommen, könnte sie einen Tsunami im östlichen Mittelmeer auslösen, warnen die Forscher.
Tatsächlich könnte der Ätna vor rund 8300 Jahren mit einem gigantischen Erdrutsch schon einmal eine bis zu 40 Meter hohe Flutwelle provoziert haben. Zu diesem Schluss kamen die italienische Geowissenschaftlerin Maria Teresa Pareschi und ihr Team in einer 2006 in der Fachzeitschrift »Geophysical Research Letters« veröffentlichten Studie. Dabei stützen sie sich auf Computersimulationen und den Fund spezifischer Ablagerungen am Grund der Ionischen See, die sich auf ein solches Ereignis zurückführen ließen.
Weltweit gibt es zahlreiche Beispiele für solche Vorfälle. Im Dezember 2002 stürzten während eines Ausbruchs des Stromboli rund 25 Millionen Kubikmeter Gestein ins Meer. Minuten später verwüsteten zwei Flutwellen die Küste der gleichnamigen Insel nördlich von Sizilien. Und bereits 1883 wurde die indonesische Vulkaninsel Krakatau bei einer gewaltigen Eruption fast vollständig zerstört. Rund 36 000 Menschen starben bei der Katastrophe.
Noch lasse sich wenig darüber sagen, wann es zu einem plötzlichen Abbruch einer Flanke des Ätna kommen könnte, räumt Urlaub ein. Um die Gefahr besser abschätzen zu können, seien weitere Untersuchungen notwendig, unter anderem zur komplexen Tektonik der Region.
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