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Linke für den Brexit

Eine im Sommer dieses Jahres gegründete Initiative will den kompromisslosen Ausstieg aus der EU - und zwar als linkes Projekt

  • Nelli Tügel
  • Lesedauer: 4 Min.

Es klingt wie aus der Zeit gefallen: Im Juni dieses Jahres hat sich das Netzwerk »The Full Brexit« gegründet. Es will die konsequente Umsetzung der Entscheidung für einen Austritt aus der EU vom Sommer 2016. Und: Die Initiative versteht sich als explizit links.

In einem Gastbeitrag für die »taz« schreibt einer der Gründer - der Wissenschaftler Philip Cunliffe - man habe »The Full Brexit« ins Leben gerufen, da man den Austritt aus der EU »nicht für etwas Fürchtens- oder Beklagenswertes« halte und »auch nicht für etwas, das untergraben oder verwässert werden sollte«.

Ganz neu ist das nicht. Lexit nannten die linken Befürworter eines Austritts des Vereinigten Königreiches aus der EU ihr Ziel - ein Kofferwort aus »Left« und »Exit«. Es gab sie schon 2016, während der Kampagne im Vorfeld des Brexit-Referendums. Unter anderem die Transportarbeitergewerkschaft RMT gehörte dazu. Und als die Briten tatsächlich knapp für einen Austritt votierten, feierten das die »Lexiter« - in Deutschland griffen die Sprecher der Linkspartei-Strömung »Antikapitalistische Linke« (AKL), Lucy Redler und Thies Gleiss, Positionen der Left-Exit-Befürworter damals auf, Redler verkündete überdies, der Brexit sei »ein Grund zur Freude«.

EU-Skepsis kam in den 1990er Jahren vornehmlich von links, vor allem mit dem Argument, die EU sei ein seiner Architektur nach kapitalistischen Interessen dienendes Projekt. Jene rechten Kräfte, deren Gegnerschaft zu Brüssel heute eines ihrer Hauptmerkmale ist, gab es damals noch nicht - oder sie waren ziemlich marginalisiert. Heute aber hat sich das komplett geändert. Und auch 2016 in Großbritannien hatten die Rechten die Debatte dominiert. Die »Lexiter« waren trotz eigener Kampagne kaum wahrnehmbar. Einige Anhänger des linken Brexits, wie der bekannte Journalist und Buchautor Paul Mason, haben inzwischen ihre Haltung geändert. Mason kritisierte in einem Beitrag für den »Freitag« die Führung der Labour-Partei dafür, dass sie keine klare Strategie in Sachen Brexit habe.

Labour-Chef Jeremy Corbyn, ein alter EU-Skeptiker, ist inzwischen - halbherzig - für einen weichen Brexit mit dem Verbleib in der Zollunion. Auch ein zweites Referendum, das derzeit heftig debattiert wird, schließt er nicht aus, setzt sich aber auch nicht dafür ein. Mason forderte Corbyn, der noch in diesem Herbst Regierungschef werden könnte, nun mehrfach auf, für ein Norwegisches Modell einzutreten - also für Integration in Binnenmarkt und Zollunion, aber ohne Mitgliedschaft in der EU. »Keine Toleranz mehr gegenüber der Handvoll von linken Brexit-Befürwortern«, forderte Mason.

Dass es vor diesem Hintergrund den Unterstützern von »The Full Brexit« - die zu dieser »Handvoll« gehören - gelingen könnte, für ihr Anliegen Gehör zu finden, ist kaum vorstellbar. Nicht nur sind sie innerhalb der britischen Linken marginalisiert. Auch dürften es die linken Brexit-Befürworter angesichts der sich ausbreitenden Angst vor den Folgen eines ungeregelten Austritts schwer haben mit ihren Idee. Umfragen zufolge wächst die Zahl derer, die doch lieber in der EU bleiben wollen, je näher der Brexit rückt.

Die Unterstützer von »The Full Brexit«, vor allem Akademiker, sehen hier eine mit falschen Fakten befeuerte »von Angst und Feindseligkeit beherrschte öffentliche Debatte« - der wollen sie mit der Werbung für ihr Projekt etwas entgegensetzen. Der Austritt biete eine »historische Chance für eine demokratische und ökonomische Erneuerung«, heißt es in dem Aufruf der Initiative. Unter den Ausformulierungen findet sich auch der Vorschlag nach Vergabe der britischen Staatsbürgerschaft an alle EU-Ausländer. Durch die Wiedererlangung der »Kontrolle über die Migrationspolitik« könnte zudem erreicht werden, »Großbritanniens Grenzen für jeden zu öffnen, der hier arbeiten möchte, nicht nur für EU-Bürger«.

Ein immerhin sehr originelles Argument, das über die klassische linke EU-Kritik hinausgeht, ist der Verweis darauf, dass die Union auch deshalb nichts Gutes sei, weil in dem Staatenbund die Zahl der Regierungen »mit autoritären Tendenzen und rechtsradikalen Mitgliedern« steigt, wie in Österreich, Ungarn, Italien oder Polen.

Bei den so schwierigen Verhandlungen zwischen der May-Regierung und Brüssel ist die Frage der inneririschen Grenze der größte Streitpunkt. Hier bleiben die linken Brexit-Befürworter ziemlich vage. Man könne das Problem mit »Technologie« lösen - behaupten sie.

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