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- Vier Jahre Pegida
Über viele Schatten gesprungen
Mehr als 13.000 Bürger demonstrierten am Sonntag in Dresden gegen das rassistische Pegida-Bündnis, das an diesem Tag seinen vierten Geburtstag feiern wollte
In Dresden gibt es manchmal Wunder, die Proteste am Sonntag sind ein solches. Über Jahre stritten sich verschiedene Protest-Gruppen, Parteien und Stadtverwaltung über die richtige Art, gegen Rechtsextremismus zu protestieren. Durch den andauernden Zwist konnten Neonazis bis vor einigen Jahren am 13. Februar durch Dresden ziehen, dem Tag, an dem die allierten Luftangriffe auf die Stadt an der Elbe im Jahre 1945 begannen. Nur eine bundesweite Mobilisierung konnte die Aufmärsche stoppen. Und auch Pegida wurde groß, umfasste zwischenzeitlich 25.000 Teilnehmer, während sich die Zivilgesellschaft im ewigen Streit verlor und manchmal niemand gegen die völkische Bewegung demonstrierte. Dresden wurde von den Rechten zur »Hauptstadt der Bewegung« ausgerufen. Dieser erdrückende Zustand könnte jetzt ein Ende haben.
Am Neustädter Bahnhof sind es zum späten Sonntagvormittag noch 300 vereinzelte Leute, die sich um zwei riesige Lkw scharen, »Herz statt Hetze« steht auf Transparenten. Noch sieht hier nichts nach Masse aus, von Zuversicht ganz zu schweigen. Vor den 300 laufen Tausende im schnellen Schritt die Antonstraße entlang – beim Sportevent »Dresden-Marathon«. Auf mehreren Routen wird um die Wette gelaufen – der versprengte Haufen mit den zwei Lkw fällt da nicht weiter auf, manche blicken neidisch auf die vielen Läufer.
Auf dem Dresdner Neumarkt, direkt vor der Frauenkirche, kommen derweil viertausend Teilnehmer zu Pegida. Die rechtsextreme Bewegung will ihren vierten Geburtstag feiern und ihre behauptete Vormachtstellung in der sächsischen Landeshauptstadt absichern. Pegida ruft »Wir sind das Volk«, während einige Meter weiter nur ein paar Hundert dagegenhalten.
Im nächsten Jahr stehen in Dresden Wahlen an – und die AfD ist in den Prognosen weit vorn. Im Haus an der Kreuzkirche kamen am Tag vorm Pegida-Aufmarsch Dresdner Parteien und politische Gruppen zusammen, sie riefen die Kampagne »Dresden kippt« ins Leben. Die demokratischen Parteien wollen mit dem Slogan warnen, was passiert, wenn weiter nur die Rechtsextremen auf die Straße gehen und Präsenz zeigen. Und der Slogan zeigt Zuversicht – noch ist die Stadtgesellschaft nicht gekippt.
Den Beweis tritt Dresden erfolgreich an. Aus dem 300-Personen-Haufen am Bahnhof Neustadt ist innerhalb einer Stunde eine Masse geworden, die zum Mittag an der Teilnehmerzahl von Pegida kratzt: Es sind 4000 Menschen für demokratische Werte auf der Straße. Auf dem Weg zum anderen Elbufer verdoppelt sich die Zahl. Manche sprechen sogar von 10.000 Dresdnern, die lieber ein großes Herz statt der donnernden Hetze am Montag haben wollen. Und die 10.000 sind noch längst nicht alle, denen es reicht. Am Ende sollen mehr als 13.000 Bürger gegen Pegida demonstriert haben.
Weil der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer mit seinen widersprüchlichen Äußerungen zu den Ausschreitungen in Chemnitz viel Kritik auf sich gezogen hatte, wollte man ihn bei der großen Demonstration von »Herz statt Hetze« nicht als Redner. Der Ministerpräsident ging dafür zum Christopher-Street-Day (CSD) am Hauptbahnhof, konnte dort sprechen und versuchen, die Wogen zu glätten. Der CSD war kein abgegrenzter Protest, wie es am 13. Februar immer üblich war. Da hatte die Regierung ihre eigenen Kundgebungen, Opposition und linke Gruppen organisierten sich im Bündnis »Dresden Nazifrei« – manchmal sprach man nicht mal mehr miteinander. Vielleicht ist der Knoten geplatzt, vielleicht hat Dresden mittlerweile wieder eine organisierte Zivilgesellschaft, die bemerkt hat, dass sie doch eigentlich für dieselben demokratischen Grundwerte eintritt.
Bei Pegida hält man sich trotzdem für »das Volk«. Auf dem größten Schild, zwei mal drei Meter, steht der Spruch: »Merkel deine Tage sind gezählt / Bald naht der Tag der Abrechnung / und dann Gnade dir Gott«. In fetten Lettern, alles groß geschrieben. Die Schrift wirkt, als könne man als Pegida-Anhänger nicht mehr normal reden, alles ist Gebrüll. Ein Pegida-Künstler hat abstrakte Werke aufgestellt, es sind Leinwände mit wirren Sprüchen, einem Elefanten mit Teufelsfratze und einer obszönen Darstellung, die die Bundeskanzlerin zeigen soll.
Zusammen mit Lutz Bachmann läuft ein internationaler Aktivist der extremen Rechten über den historisch rekonstrutierten Neumarkt. Tommy Robinson saß in Großbritanien bereits mehrfach in Haft, englische Medien berichten über eine erneute drohende Inhaftierung. Der Gründer der »English Defense League« wird bei Pegida mit offenen Armen empfangen, Lutz Bachmann und ihn verbindet nicht nur das Vorstrafenregister.
Hinter Bachmann stehen AfD-Anhänger mit ihren Fahnen, auch ein Bundestagsabgeordneter ist dabei. Identitäre, Neonazis in Thor Steinar und bekannte Pegida-Aktivisten wie Katja Kaiser laufen durch die Reihen. Kaiser nahm zuletzt an einer Neonazi-Demonstration in Köthen teil, David Köckert vom Neonazi-Bündnis Thügida sprach dort und auch Alexander Kurth, der schon lange in der Szene aktiv ist.
Um dem Schulterschluss der deutschen Rechtsextremen etwas entgegenzusetzen, ist die Dresdner Zivilgesellschaft heute über viele Schatten gesprungen. Sie hat damit ein gemeinsames Zeichen für mehr Herz im Umgang miteinander gesetzt.
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