Fessenheim muss 2022 vom Netz

Französische Atomaufsicht ordnet Abschaltung von störanfälligem Kraftwerk an

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor Jahren war das Abschalten von Frankreichs ältestem Kernkraftwerk im elsässischen Fessenheim vom sozialistischen Präsidenten François Hollande als »Einstieg in die Energienwende« in Aussicht gestellt worden. Bis 2025 sollte der Anteil von Atomstrom an der Energieversorgung des Landes von heute 78 auf 50 Prozent sinken. Dafür ließ sich Hollande auf dem Pariser Klimagipfel Ende 2015 feiern. Tatsächlich jedoch hat seine Regierung die endgültige Entscheidung unter dem Druck der Atomlobby vor sich hergeschoben.

Nicht anders verhält sich der jetzige Präsident Emmanuel Macron. Er kündigte vor Monaten die Schließung des störanfälligen Kraftwerks an, gegen das es gerade in Deutschland aufgrund seiner Grenznähe viele Proteste gab, für frühestens 2022 an. Voraussetzung sollte jedoch sein, dass bis dahin das in Bau befindliche Kernkraftwerk in Flamanville, dessen Bauzeit sich schon mehrfach verlängert hat, ans Netz gehen kann.

Doch jetzt hat sich die französische Atomaufsichtsbehörde ASN eingeschaltet. Am Montag hat sie dem weitgehend staatseigenen Ener-giekonzern EDF als Betreiber aller 19 Kernkraftwerke in Frankreich verbindliche Termine für die Abschaltung diktiert: In Fessenheim darf der ältere der beiden Reaktoren nur noch bis September 2020 und der zweite bis August 2022 betrieben werden. EDF habe es unterlassen, Modernisierungsarbeiten auszuführen, die für einen sicheren Betrieb über das Reaktoralter von 40 Jahren hinaus nötig wären, so die Begründung. Diese hätten die ASN-Experten nach ihren Inspektionen von 2012 und 2014 vom Konzern gefordert, bei denen es nicht zuletzt um eine eventuelle Verlängerung der Laufzeit und damit der Betriebsgenehmigung über 40 Jahre hinaus ging.

Ende vergangener Woche hat die ASN dem EDF-Konzern in einem Schreiben erklärt, dass der Betrieb in Fessenheim über 2022 hinaus keinesfalls fortgesetzt werden dürfe. Außerdem teilte Behördenchef Olivier Gupta mit, dass die Atomaufsicht mit sofortiger Wirkung die öffentliche Konsultation über ihr Projekt für die Abänderung der Betriebserlaubnis für das AKW Fessenheim startet - dies ist durch die Perspektive der endgültigen Schließung notwendig. Die entsprechend modifizierten Anweisungen werden bereits ab 5. November in Kraft treten.

Der damit verbundene Fahrplan für die Schließung des Kraftwerks sei in keiner Weise an den Termin der Inbetriebnahme des Kernkraftwerks Flamanville gekoppelt, machte die ASN in dem Schreiben deutlich. Für eine längere Betriebsgenehmigung von Fessenheim hätte es eines »harten Kerns« von Maßnahmen bedurft, die für die Sicherheit der beiden je rund 900 Megawatt leistungsstarken Druckwasserreaktoren notwendig wären. Dazu gehört beispielsweise ein kompletter dieselbetriebener Reservekühlkreislauf, der zusätzlich zu anderen Sicherheitsvorkehrungen hätte installiert werden müssen und der im Fall eines Unfalls die letzte Chance zur Verhinderung einer Katastrophe wäre.

Für Stilllegung, Rückbau, Abriss und Dekontaminierung des Kernkraftwerks ist ein solches Maßnahmenpaket nun nicht mehr nötig. Um die Sicherheit der verstrahlten Installationen und vor allem der Kernbrennstäbe in ihrem Wasserbassin bis zum endgültigen Abtransport zu gewährleisten, prüft EDF nun verschiedene Lösungen, die der Atomaufsicht unterbreitet werden sollen. Nach den ASN-Vorschriften muss die Sicherheit der Kernbrennstäbe drei Jahre über die Abschaltung des AKW hinaus garantiert werden. Vor Ablauf dieser Frist müssen sie zudem zur Wiederaufbereitungsanlage La Hague abtransportiert sein.

Schließlich erinnerte die Atomaufsicht den Energiekonzern noch daran, dass er gesetzlich verpflichtet ist, der ASN das endgültige Abschalten eines Reaktors spätestens zwei Jahre vor dem geplanten Termin anzukündigen. Mit den nun genannten Terminen ist diese Meldung für den älteren der beiden Fessenheim-Reaktoren schon um Wochen überfällig, für den zweiten muss sie bis spätestens August 2020 erfolgen.

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