Hochaktive Geschlechtswerkzeuge
Von A wie Asexualität bis Z wie Zoophilie: Bis zum Wochenende findet in Berlin das Pornfilmfestival statt
Ist Pornografie nur dort zu finden, wo eine Objektifizierung von menschlichen Körpern stattfindet? Ist Pornografie zwingend mit dem Herzeigen möglichst funktionstüchtiger und hochaktiver Geschlechtswerkzeuge verbunden? Oder handelt es sich auch dann um einen pornografischen Film, wenn die darin gezeigten Personen nicht auf sexuelle Leistungsträgerinnen und -träger reduzierte Figuren, also erkennbar selbst denkende Subjekte sind? Das sind so Fragen. Fragen, wie sie alljährlich auf dem Berliner Pornfilmfestival gestellt werden, das ja im Grunde eher »Festival für Filme, die sich mit allen denkbaren und undenkbaren Erscheinungsformen und Spielarten der menschlichen Sexualität auseinandersetzen« heißen müsste; aber die Bezeichnung »Pornfilmfestival«, so wird man sich bei den Macherinnen und Machern gedacht haben, zieht sicher mehr Menschen an. Tatsächlich aber spielt die sogenannte Mainstreampornografie auf dem Festival eine zusehends schwindende Rolle. Auf dem Programm stehen also wie immer nicht nur mal mehr, mal weniger pornografische Unterhaltungsfilme für Erwachsene, sondern auch viele Dokumentationen, krude Art-Porn-Experimente sowie andere für gewöhnlich nicht im Kino zu sehende Low- oder No-Budget-Produktionen.
Einer der zahlreichen Vorzüge dieses Festivals besteht darin, dass das altbekannte Pornoklischee vom dominanten Superstecher und der devoten Spermaempfängerin hier nicht zum tausendsten Mal reproduziert werden soll. Die Kuratorinnen und Kuratoren achten stets darauf, dass sowohl diverseste Ausformungen der Sexualität - von A wie Asexualität bis Z wie Zoophilie - repräsentiert sind als auch darauf, dass althergebrachte Geschlechterrollenklischees und bürgerliche Zwangsvorstellungen nicht bedient werden.
Porno wird hier erfreulicherweise nicht als Schmuddelecke gedacht, sondern als ein Genre unter vielen auf dem weiten Feld der Kunstproduktion.
In der nur knapp 50-minütigen, von der New Yorker Filmemacherin Lívia Cheibub gedrehten Berliner Indie-Romanze »Landlocked« etwa, in der einige Tage aus der leidenschaftlichen Affäre eines jungen Manns mit einer jungen Frau erzählt werden, haben wir es definitiv nicht mit bloßen Geschlechtsteilinhabern, sondern mit Charakteren zu tun. Allerdings mit solchen, die wirken wie aus dem Berlin-Hipster-Bilderbuch: Junge aufgeschlossene Menschen, die vermutlich irgendwas mit Kunst machen.
In den wenigen Szenen, in denen wir dem Paar nicht beim Sex zusehen, hält es, auf dem Bett oder Sofa sitzend, Bierflaschen in den Händen und sagt wenig inspirierte Dialoge auf. Er: »Das fühlt sich so unwirklich an: Du und ich, hier in meinem Schlafzimmer. Als ob wir uns schon seit Jahren kennen.« Sie: »Ich weiß. Es ist so … intensiv und verrückt. Vielleicht ist das der Grund, warum es sich so richtig anfühlt.« Hmm. Irre. Wahnsinn. Kurz danach sieht man das irgendwie nette, aber wenig eloquente Paar wieder knutschen, sich gegenseitig die Finger oder Ohrläppchen ablutschen und ficken. Sehr gut aber, dass hier nicht einfach die Kamera auf ausgeleuchtete Körperöffnungen gehalten wird, sondern dass es eine gelungene Regie gibt (was übrigens auf viele Filme des Festivals zutrifft).
Eröffnet wurde das diesjährige Festival, dessen Publikum jährlich wächst, gestern abend im Kreuzberger Kino Moviemento, dieses Mal mit einem südamerikanischen Roadmovie: Ein lesbisches Paar ist mit einem Kleinbus in Argentinien unterwegs. Auf dem Weg schließen sich ihnen weitere Frauen und queere Personen an, denen die binäre Geschlechterordnung und die einschränkenden Sexualnormen der bürgerlich-patriarchalen Gesellschaft offenbar wurscht sind und die diffus auf der Suche nach Befreiung zu sein scheinen.
Zwischendurch haben sie gemeinschaftlich Sex, schließlich handelt es sich hier um einen - wenn auch nicht heteronormativen - pornografischen Film: Sex in der Berglandschaft, Sex auf einem Kirchenaltar, SM-Spiele mit ein bisschen schüchternem Fesseln und Auf-den-Popo-Klatschen usw. Einmal wird auch im Kollektiv am Straßenrand gepinkelt.
An der argentinischen Indie-Produktion »Las Hijas del Fuego« (»Die feurigen Schwestern«) gibt es nichts zu meckern, insofern der Film nicht mehr zu sein beansprucht als eine Art wirres feministisches, sexpositives Manifest: Es geht hier um weibliche Selbstermächtigung, weibliche Solidarität, um ein weibliches Sich-zur-Wehr-Setzen gegen sexuelle Diskriminierung und gegen eine patriarchal geordnete Welt, was sehr zu begrüßen ist. Filmdramaturgisch, erzähltechnisch-formal, bildästhetisch ist der Film jedoch eine Niete. Wozu es in dem Film am laufenden Band 15- oder 20-sekündige Sequenzen braucht, in denen immer nur unambitioniert abgefilmte Straßen und Landschaften zu sehen sind (Bäume am Straßenrand, regennasse nächtliche Fahrbahnen, Laternenmasten, Lichtergeflacker auf der Autobahn, Sonnenuntergänge, Wellen auf dem Meer, auffliegende Vogelschwärme usw.), erschließt sich nicht. Um ihn als Roadmovie kenntlich zu machen? Weil zwei Filmstunden gefüllt werden müssen? Auch dass hie und da aus dem Off halb kämpferisch gemeinte, halb für künstlerisch besonders wertvoll erachtete Gedichte oder Besinnungsaufsätze zu Lust und Begehren oder zur Kolonisierung des weiblichen Körpers aufgesagt werden, kann eine extrem lähmende Wirkung auf den Betrachter haben. Schließlich handelt es sich hier um einen Film, nicht um eine Mischung aus Seminararbeit und Flugblatt.
13. Pornfilmfestival Berlin, bis 28.10., Kino Moviemento, Babylon Kreuzberg.
Festivalparty am 26.10., 22 Uhr, Lido. Preisverleihung und Abschlussparty am 28.10., 23 Uhr, Monarch. www.pornfilmfestivalberlin.de
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