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- Übung in Norwegen
Königsberger Igel und die NATO
Der Westen macht militärischen Druck auf Russland und blendet dabei Realitäten aus
Rund 50.000 Militärs aus 29 Nationen werden an der NATO-Übung teilnehmen. Mit rund 4500 Soldaten ist die Bundeswehr der zweitgrößte Truppensteller. 90 Millionen Euro soll das den deutschen Steuerzahler kosten, heißt im Verteidigungsministerium. Doch da rechnet man nur die Kosten für den Transport, die Unterbringung und die Verpflegung in Norwegen. Die Aufwendungen für den laufenden Übungsbetrieb und sich anschließende Instandsetzungskosten werden die Summe nach oben treiben. Die deutschen Militärs entwickeln einen besonderen Ehrgeiz, denn die Bundeswehr wird ab Anfang 2019 die Führung der Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) übernehmen. Diese schnelle NATO-Eingreiftruppe wurde nach der - aus Brüsseler Sicht - Annexion der Krim beschlossen und soll Russland vor »ähnlichen Abenteuern« in den NATO-Staaten Litauen, Lettland und Estland abhalten.
Auch wenn man bei der NATO behauptet, »Trident Juncture« sei gegen niemanden gerichtet, so ist doch die Orientierung auf Moskau deutlich. Gerade deshalb liegt der Übung aus militärstrategischer Sicht ein grundsätzlicher Irrtum zugrunde. Generalstäbler sind gehalten, das politisch und moralisch Unmögliche militärisch durchzuspielen. Daher wissen sie natürlich auch, dass sich das Übungsszenarium in Norwegen und das zu befürchtende an der Ostflanke der NATO wesentlich unterscheiden. In Norwegen können sich die Bündnistruppen, allen voran die der USA, frei entfalten. Das ist bei einem möglichen Konflikt im Baltikum und in Polen anders - für die NATO eine völlig neue Situation. Schuld daran - ein Blick auf die Landkarte macht das deutlich - ist die Enklave Kaliningrad. Nicht nur, dass Russland von dort aus durch einen schnellen Vorstoß nach Belarus die sogenannte Suwalki-Lücke schließen und die baltischen Bündnismitglieder samt der darin stationierten ausländischen NATO-Truppen von ihrem Hinterland abschneiden könnte. Laut einer Studie der RAND Corporation wären Litauen, Lettland und Estland in 60 bis 72 Stunden von Moskau zu besetzen. NATO-Verstärkung würde vom Krisengebiet ferngehalten, denn die »Garnision Kaliningrad« ist ein überzeugender »Abwehrigel«.
Im NATO-Jargon nennt man so etwas A2AD-Zone (Anti-Access Area Denial). Die im Kaliningrader Gebiet stationierten Flugabwehrraketen vom Typ S-300 und S-400 haben eine Reichweite von bis zu 400 Kilometer. Das mobile Küstenverteidigungssystem »Bastion« wäre schon in einer Entfernung von 600 Kilometern eine Gefahr für jeden Flottenverband. Dazu kommen neue U-Boote und Kampfschiffe mit »Kalibr«-Flugkörpern, die in Syrien erprobt wurden. Mobile und treffsichere Iskander-Kurzstreckenraketen und die passenden Marschflugkörper - Reichweite 500 Kilometer - können atomar bestückt werden. Zudem hat die russische Armee Mittel zur elektronischen Kampfführung in die Region gebracht. Auch wenn das alles defensiv ausgerichtet ist - rechnet man die für eine NATO-Reaktion notwendigen Gegenkräfte und -mittel hinzu, dann ist klar: Eine Begrenzung des Konfliktes wäre weder räumlich noch konventionell denkbar.
Um aus der für die NATO nicht gerade vorteilhaften Lage herauszukommen, will US-Präsident Donald Trump den 1987 zwischen den USA und Russland unterzeichneten INF-Vertrag aufkündigen, mit dem Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite bis 5500 Kilometern aus Europa verbannt wurden. Doch das Abkommen betreffe »lebenswichtige Interessen Europas«, so Bundesaußenminister Außenminister Heiko Maas. So lange es noch eine Chance gebe, den Vertrag zu erhalten, »wollen wir mit allen diplomatischen Mitteln dafür kämpfen«. Neue Abrüstungsinitiativen anzustoßen, das ist nicht nur weit billiger als Großmanöver; sie versprechen auch mehr gemeinsame Überlebenskraft.
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