Protest im Prunksaal
Italiens Gewerkschaften machen gegen katastrophale Bedingungen im Landwirtschaftssektor mobil
Segal Konde kommt morgens um acht am Palazzo Dogana an, dem Sitz der Regierung der Provinz Foggia in Süditalien. Die ganze Nacht war er im Auto unterwegs mit seinen Genossen aus Turin, ganz im Norden von Italien, um an dem nationalen Treffen der »Plattform für die sozialen, vertraglichen und Arbeitsrechte der Landarbeiterinnen und Landarbeiter« teilzunehmen. In Turin arbeitet er für die italienische Basisgewerkschaft USB, im Juli hatte er dort eine Demonstration mitorganisiert, um gegen die dramatischen Lebens- und Arbeitsbedingungen im Landwirtschaftssektor in Italien zu protestieren. So wie er haben sich hunderte Landarbeiterinnen und Landarbeiter auf den Weg nach Foggia gemacht, aus den Provinzen Kalabrien, Apulien, Basilikata und Piemont, um an diesem wichtigen und symbolischen Treffen im prunkvollen Versammlungssaal des Palazzo teilzunehmen.
Der Saal ist rappelvoll, ein Banner wird aufgehängt mit einer Zeichnung des in Italien zum Kult-Comiczeichner aufgestiegenen Zerocalcare: »Prima gli Sfruttati« steht darauf, »Zuerst die Ausgebeuteten!« Ein Gewerkschafts-Slogan, der dem vergifteten Diskurs in Italien (»Zuerst die Italiener«) eine Klassenperspektive entgegensetzt. Denn, so sind sich die Gewerkschaftsaktivisten einig, es muss darum gehen, die gemeinsamen Interessen aller in Italien ausgebeuteten Arbeiterinnen und Arbeiter in den Vordergrund zu stellen, statt sich an den identitätspolitischen Debatten, befeuert von Innenminister Salvini und seiner rechtsextremen Partei Lega, abzuarbeiten.
Deshalb sind auch die sogenannten »118 Arbeiter« nach Foggia gekommen, um von ihren Arbeitsbedingungen zu berichten. Der Name bezieht sich auf den Artikel 118 des italienischen Arbeitsgesetzes, der eine Auslagerung von Beschäftigten des öffentlichen Sektors ermöglicht. Denn im Laufe von Jahren der Austeritätspolitik ohne Neueinstellungen im öffentlichen Dienst wurden viele soziale Dienstleistungen an Organisationen, die Nichtregierungsorganisationen ähneln, ausgelagert, deren Beschäftigte keinen Mindestlohn erhalten. Wie die Arbeiterinnen und Arbeiter auf den Tomatenfeldern erhalten auch sie einen Stundenlohn von manchmal nur drei Euro. Ein starkes Bild also, wenn der Feuerwehrmann Pascal Buentempo vor hunderten Landarbeitern seine Solidarität erklärt, denn drei Euro Stundenlohn sind für alle viel zu wenig für ein würdevolles Leben.
Zambare, der von seinen süditalienischen Genossinnen und Genossen delegiert wurde zu sprechen, hält einen Stapel Papiere in die Luft, alles abgelehnte Asylanträge. Wer kein Asyl bekommt, bekommt auch keine Aufenthaltserlaubnis und eben auch keine Arbeitserlaubnis. Aber alle Menschen, die hinter jedem dieser hunderten Papiere stehen die Zambare hochhält, arbeiten trotzdem auf den Feldern. Als illegal arbeiten sie weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn von etwas über sechs Euro und sie leben in Ghettos aus Wellblechhütten weit außerhalb der Städte, quasi unsichtbar.
Einer dieser Ghettobewohner, Soumaila Sacko , wurde im Frühjahr erschossen, während er auf der Suche nach Blech für seine Hütte war. Ein Mord, über den viel gesprochen wurde in Italien, und der den Gewerkschaftsaktivisten der USB zu einiger Bekanntheit in Italien verhalf, denn auch Soumaila Sacko engagierte sich auch für die USB. Der Gewerkschaftssekretär Aboubakar Soumahoro ist seitdem ein viel gefragter Interviewpartner, nicht nur in den italienischen Medien. Einen Fernsehauftritt im August nutzte Soumahoro dazu, den italienischen Landwirtschaftsminister Gian Marco Centinaio von der Lega vor laufenden Kameras zu dem Treffen nach Foggia einzuladen. Centinaio sagte zu, aber sein Stuhl bleibt dann doch leer. Denn die italienische Regierung zieht es vor, das Thema der Arbeitsmigration ausschließlich im Innen-Ressort zu behandeln, und nicht, wie die Gewerkschafter fordern, im Arbeits- bzw. Landwirtschaftsressort.
Offizielle der italienischen Regierung machen sich trotz vorheriger Zusagen rar, auch der Präsident der Region Apulien sagt noch am selben Tag ab, gekommen ist immerhin die zuständige Leiterin des Arbeits-Ressorts der Region Kalabrien, Angela Robbe. Auch der berühmte italienische Journalist Gad Lerner ist gekommen, der Aboubakar Soumahoro für eine Reportage auf der Reise zur Rückführung des Leichnams von Soumaila Sacko in dessen Heimatdorf in Mali begleitet hatte. Und die Nichte des großen Kommunisten und Gewerkschaftsführers Guiseppe di Vittorio ist nach Foggia gekommen, in dessen Heimatregion, wo auch er sich als junger Mann sein Lebensunterhalt als Tagelöhner in der Landwirtschaft verdiente. Daher ist sich seine Nichte sicher: »Wenn Guiseppe noch am Leben wäre, stünde er heute hier bei uns«.
Wichtige prominente Unterstützung für die Landarbeiterinnen und Landarbeiter aus Italien also an diesem Septembertag, auf den sie lange hingearbeitet haben, um einen Ethik-Kodex vorstellen. Gefordert wird die Einhaltung von vertraglichen und arbeitsrechtlichen Verpflichtungen, die Regularisierung der Arbeitenden, die Schaffung von menschenwürdiger Unterbringung und die Verbesserung der Arbeitssicherheit, denn allein in diesem Jahr starben über zwanzig Landarbeiterinnen und Landarbeiter in Italien bei oder auf dem Weg zur Arbeit. Im milliardenschweren Geschäft mit den Tomaten sollte das alles selbstverständlich sein. Aber von den enormen Summen, einschließlich der Milliarden Euro aus den Töpfen der EU-Agrarpolitik, landet so gut wie nichts in den stigmatisierten Händen derer, die auf den Feldern schuften.
Es bleibt also noch viel zu tun, um diese Ziele zu erreichen. Das ISIDE Onlus Netzwerk für soziale Intervention und demokratische Initiative entwickelte deshalb gemeinsam mit der Rosa Luxemburg Stiftung Seminare zur politischen Bildung und Stärkung der Organisationsfähigkeit der Landarbeiterinnen und Landarbeitern. Ein wichtiger Schritt, damit soziale Rechte ebenso formuliert wie konkret erkämpft werden können.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.