• Berlin
  • Homosexuelle in Berlin

Wer nicht hetero ist, hat Ärger

Bereits über hundert Menschen wurden in diesem Jahr wegen ihrer sexuellen Orientierung angegriffen

  • Marion Bergermann
  • Lesedauer: 3 Min.

105-mal kam es in den ersten neun Monaten dieses Jahres zu Straftaten gegen Schwule, Lesben, Bi-, Trans- und Intersexuelle (LSBTI). Davon waren 30 Fälle Gewaltdelikte und 75 Fälle Beleidigungen, Sachbeschädigungen oder Hausfriedensbruch. Die neuen Zahlen stellte die Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik bei einer Veranstaltung des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin-Brandenburg (LSVD) und des Bündnis gegen Homophobie vor.

Damit liegt die Anzahl der erfassten Überfälle unter der der vergangenen Jahre – noch. Dass LSBTI tatsächlich weniger angegriffen werden als im letzten Jahr, als die Polizeistatistik 139 Fälle im gleichen Zeitraum zählte, davon geht Slowik nicht aus. Vergleiche zum Vorjahreszeitraum könne man noch nicht ziehen, weil noch nicht alle Fälle aus den drei zurückliegenden Quartalen erfasst seien.

Im Gegenteil rechnet die Polizei sogar mit einem Anstieg der Übergriffe in diesem Jahr. Ob die erwarteten höheren Zahlen zustande kommen, weil mehr Menschen Anzeige erstatten oder weil es vermehrt zu Straftaten komme, könne man noch nicht sagen. Slowik appellierte an Zeug*innen, sich zu melden und in Strafverfahren auszusagen, um mehr Fälle aufklären zu können. Zurzeit liegt die Aufklärungsquote der angezeigten Taten nämlich bei 43 Prozent. Wie im Vorjahr waren die Täter*innen mehrheitlich deutsche Staatsangehörige, bei den bisherigen Fällen in diesem Jahr zu rund 60 Prozent. Die meisten Übergriffe fanden in Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte, Neukölln und Tempelhof-Schöneberg statt, also in Ausgehbezirken mit queeren Bars und Clubs.

Die meisten der Gewaltdelikte passierten auf der Straße oder in öffentlichen Verkehrsmitteln. Homophobe und transphobe Übergriffe wurden nicht gesondert ausgeführt. Die Statistik zeigt auch, dass besonders Männer Opfer von Gewalt aufgrund ihrer sexuellen Orientierung werden. »Respektlosigkeit gegenüber queeren Menschen beginnt weit unter strafbaren Handlungen«, etwa mit abschätzigen Blicken oder Anfeindungen im Alltag, sagte Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne).

Der Geschäftsführer des LSVD, Jörg Steinert, wies darauf hin, dass die statistische Erfassung der Berliner Polizei vorbildlich sei, andere Bundesländer würden Zahlen zu homophoben Übergriffen nicht erheben. Außerdem empfahl er, Anzeige zu erstatten, auch bei Hassrede in sozialen Medien, um Beleidigungen und Bedrohungen etwas entgegenzusetzen. Dass das erfolgreich sein kann, erläuterte er an einem persönlichen Beispiel, bei dem das Amtsgericht Tiergarten ihm vor kurzem Recht gegeben hatte.

Im Anschluss an die Vorstellung der neuen Zahlen zu homo- und transphoben Übergriffen verlieh das Bündnis gegen Homophobie seinen jährlichen Respektpreis. Der ging dieses Jahr an die Broschüre »Murat spielt Prinzessin, Alex hat zwei Mütter und Sophie heißt jetzt Ben« der Bildungsinitiative Queerformat aus Berlin.

Das Buch ist die erste deutschsprachige Handreichung für frühkindliche Bildung, mit der Pädagog*innen für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt sensibilisiert werden sollen. Die Texte befassen sich damit, dass es unterschiedliche Familienmodelle und Trans- sowie Homosexualität im Kindesalter gibt.

In Medien und bei Parteien hatte das Buch starke Kritik hervorgerufen. Kinder würden dadurch frühsexualisiert und verdorben, so der Vorwurf. Außerdem nominiert waren die Komikerin Idil Baydar, das Onlineportal »Queer History« und die Faninitiative »Tennis Borussia Aktive Fans«.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.